News 08. 10. 2008

Der Papst und der Holocaust - Vor 50 Jahren starb Pius XII.

Pius XII. gilt als eine der zwiespältigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts und ist umstritten wie nur wenige andere Päpste in der an Wirren und Irrungen reichen Geschichte des Vatikans. Ein Korrespondentenbericht von Hanns-Jochen Kaffsack, dpa.

Viele sahen und sehen in Pius XII. schlicht "Hitlers Papst", der während des Zweiten Weltkriegs zum Holocaust geschwiegen und sich dadurch mitschuldig gemacht habe. Doch immer schon gab es auch jene, die den Römer mit dem markant-hageren Gesicht einen Wohltäter des jüdischen Volkes nannten. Judenretter oder Schuldiger - der jüngeren Forschung gelingt ein facettenreicheres Bild des Pontifex, der am 9. Oktober vor 50 Jahren in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo am Albaner See starb. Es ist ein kleines Stück Rehabilitierung, auch wenn sein diplomatisches Kalkül nur noch klarer zutage tritt.

Benedikt XVI. verteidigt Pius XII.

Auch Benedikt XVI. stellte sich kurz vor dem 50. Todestag hinter seinen umstrittenen Vorgänger: Pius habe "alle Kraft eingesetzt", um Juden zu verteidigen und zu schützen, sagte der deutsche Papst auf dem Stuhl Petri und kündigte eine Pius-Gedenkmesse im Petersdom an.

Ein Kenner des Dritten Reiches

An die 100 000 Aktenbündel aus dem sogenannten Vatikanischen Geheimarchiv machte der Heilige Stuhl 2003 und 2006 den Forschern erstmals zugänglich. Sie decken die Zeit von 1922 bis zum Tod des Vorgängers Pius XI. im Februar 1939 ab und enthüllen bereits viel über den Mann, der dann auf den Stuhl Petri rücken sollte. Denn der am 2. März 1876 geborene Eugenio Pacelli war zwölf Jahre lang als Nuntius in Deutschland und als Kardinalstaatssekretär die rechte Hand des Kirchenoberhaupts, bis er selbst als Pius XII. zum Pontifex wurde. Mit seiner Intimkenntnis Deutschlands, das in der Diktatur und im Weltkrieg versank, wusste er, was in Hitlers Reich vorging.

Das Konkordat von 1933 - ein Verrat an der Demokratie?

Und es geht in den Vorwürfen gegen diesen Papst nicht nur um sein Schweigen zur Judenvernichtung, dessen Hintergründe wohl erst in ein paar Jahrzehnten richtig klarwerden dürften, wenn der Vatikan auch für die Zeit des Krieges seine Archive öffnet. Viele sehen den späteren Papst schon als Drahtzieher hinter dem Reichskonkordat, das der Vatikan im Jahr 1933 mit Deutschland unterzeichnete - ein Verrat an der ersten deutschen Demokratie? Die katholischen Parteien hatten zuvor für das Ermächtigungsgesetz votiert, die Bischöfe ihre Warnung vor den Nazis zurückgenommen. Für den Kirchenhistoriker Hubert Wolf ist nach dem eingehenden Archivstudium durch eine Vielzahl von Indizien belegt: Der "Diplomat" Pacelli musste Niederlagen hinnehmen, und er hatte keine Kontrolle über die Akteure: "Die Bischöfe und die katholischen Parteien haben selbstständig entschieden" - ohne Weisung aus Rom. Klarere Zusagen der Nazis an die Bischöfe, das wäre Pacelli lieber gewesen. Von einem "verhängnisvollen Kuhhandel" Roms mit Hitler könne aber keine Rede sein, so das Fazit Wolfs ("Papst und Teufel - Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich"). Warum aber schwieg der fromme und introvertierte Papst mit der Intellektuellenbrille zu der Judenvernichtung? Er hatte doch vor Antisemitismus gewarnt sowie mehrfach per Fernexorzismus versucht, Hitler vom Satan zu befreien. Andererseits hatte er dessen Reden gegen den Kommunismus gelobt.

"Rückzug in die Sakristei"

Von einem schwankenden Pius berichtet nach dem Archivstudium der Freiburger Theologe und Kirchenhistoriker Klaus Kühlwein in seinem ebenfalls vor kurzem erschienenen Werk "Warum der Papst schwieg". Als Chef einer neutralen Macht (der Vatikan galt bereits als "global player") und geprägt von traumatisierenden Misserfolgen in seiner früheren Zeit in Deutschland setzte Pius XII. auf Zurückhaltung in internationalen Konflikten: "Rückzug in die Sakristei und Verzicht auf politisches Engagement lautete die Devise", erläutert Wolf. Mit Sympathien für die Nazis hatte diese Haltung nichts zu tun. Viel eher ist es die innere Zerrissenheit eines Kirchenoberhauptes, das alles mit sich selbst ausmachte und noch versuchte, die alte jüdische Gemeinde in Rom vor den Todeskommandos zu retten. Als sein Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione 1944 starb, lud sich Pius XII. auch noch dessen Arbeit auf. Sogar noch im Oktober 1958 verlangte er - kurz aus der Todesagonie erwacht - als erstes nach seinen Akten.

 

 

Webcast:

- Orientierung, 05.10.2008: Papst Pius XII.: Schwieriges Pontifikat in den Jahren des Holocaust

 

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