News 12. 02. 2009

200 Jahre Darwin: Zwischen Schöpfung und Evolution

Der 200. Geburtstag von Charles Darwin (12. Februar 1809 - 19. April 1882), dem "Vater der Evolutions-theorie", ruft auch eine große Debatte der vergangen vier Jahr in Erinner-ung. Sie betrifft das Verhältnis von Schöpfungsglauben und Evolutions-theorie. Losgetreten wurde sie im Juli 2005 von Kardinal Christoph Schön-born durch seinen viel beachteten Artikel "Finding Design in Nature" in der "New York Times". ("Kathpress"-Hintergrundbericht von Henning Klingen.)

Zum Stein des Anstoßes wurde in dieser Dieskussion Schönborns These, dass "jedes Denksystem, das die überwältig-ende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären versucht, (...) Ideologie, nicht Wissen-schaft" sei. Insbesondere die Übersetz-ung der "überwältigenden Evidenz für einen Plan in der Biologie" in die beiden Signalworte "Intelligent Design" kamen dabei einem Stich in ein Wespennest gleich, ist doch die nordamerikanische Debatte seit einigen Jahren von Graben-kämpfen zwischen Vertretern der "Intelligent Design"-These und den Evolutionsbiologen vom Schlage eines Richard Dawkins ("Der Gotteswahn") beherrscht.

Kampf um die Deutungshoheit

So sehr diese Debatte für europäische Ohren nach einer Diskussion zwischen fanatischen Kreationisten auf der einen und ebenso grotesk-polternd auftretenden Naturwissenschaftlern auf der anderen Seite klingt, so eminent-politisch gestaltet sich die Debatte in den USA tatsächlich: Es geht um Macht, um Deutungsho-heiten, die sich insbesondere auf das Bildungssystem aber auch auf die Vergabe von Forschungs- und Förder-geldern anwenden lassen.

 Verkürzter Wissenschaftsbegriff

 Was der naturwissenschaftlichen Zunft wie ein Aufruf zu einem christlichen Feldzug gegen die Grundfeste wissenschaftlicher Methodik erschien, stellt sich aus Sicht Kardinal Schönborns jedoch nicht als Angriff auf "die Naturwissenschaften" dar, sondern vielmehr als Korrektur eines Wissenschafts- und Vernunftbegriffs, der seine eigenen Grenzen überschreitet, wo er Evolution zum universalen Erklärungsmodell macht - von naturwissenschaftlichen Phänomenen bis hin zu gesellschaftlichen Entwicklungen.

Bewunderung für die Schöpfung

Wenn Kardinal Schönborn somit Vernunftkritik und Schöpfungstheologie verbindet, indem er die These einer "überwältigenden Evidenz für einen Plan in der Biologie" aufstellt, so buchstabiert er letztlich zu Ende, was bereits Johannes Paul II. bei einer General-audienz 1985 als Vorgabe formulierte: "Alle Beobachtungen über die Entwick-lung des Lebens führen zu einer ähnlichen Konklusion. Die Evolution des Lebendigen, dessen Entwicklungsstufen die Wissenschaft zu bestimmen und dessen Mechanismen sie zu erkennen sucht, hat ein inneres Ziel, das Bewun-derung hervorruft. Dieses Ziel, das die Lebewesen in eine Richtung führt, für die sie nicht Verantwortung tragen, zwingt, einen Geist vorauszusetzen, der Schöpf-er dieses Ziels ist."

Göttlicher Plan

Kardinal Schönborns Ausführungen liegt damit der Kerngedanke der Schöpfungs-theologie zu Grunde, dass der Mensch, wenn er an einen personalen Gott glaubt, dem das Schicksal des Menschen nicht egal ist, kein Zufall sein kann, dass es einen "göttlichen Plan" gibt, den Gott durch die Evolution als sein Instrument hindurch verfolgt. Dies ist zunächst keine "fundamentalistische Position", sondern eine Glaubenswahrheit, wie sie auch Benedikt XVI. in seiner ersten Predigt als neuer Papst formulierte: "Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht".

Sinn und Ziel

Entsprechend formulierte Schönborn im Rahmen einer Katechesenreihe zum Thema "Schöpfung und Evolution" 2006 im Wiener Stephansdom: "Es ist völlig der Vernunft entsprechend, Sinnhaftigkeit, 'Design' anzunehmen (...). Die Vernunft sagt mir, dass es Plan und Ordnung, Sinn und Ziel gibt, dass eine Uhr nicht zufällig entstanden ist und noch viel weniger der lebendige Organismus einer Pflanze, eines Tieres oder gar des Menschen. Deshalb gilt es zu staunen, denn das Staunen ist der Anfang der Philosophie."

 Warnung vor "Grenzüber-schreitungen"

Seit seinem Artikel in der New York Times hat Kardinal Schönborn seine These vielfach in Interviews erläutert und in Vorträgen weiter ausgearbeitet. Einen vorläufigen Höhepunkt markierte eine im Band "Schöpfung und Evolution" dokumentierte Tagung des päpstliches Schülerkreises in Castel Gandolfo 2006, bei dem Schönborn seine These noch einmal entfaltete und zuspitzte. Dabei betonte Schönborn stets, dass es ihm nicht darum gehe, die Evolutionstheorie insgesamt in Frage zu stellen, sondern vielmehr darum, "Grenzüberschreit-ungen" anzuzeigen, wo Wissenschaft "nicht Wissenschaft, sondern Ideologie, ja im umfassenden Sinn Weltanschauung" werde. Im Sinne eines aufgeklärten Vernunftbegriffs wäre es daher, wenn sich die Vernunft in Selbstbescheidung üben würde.

Kritik an Materialismus

Auch passt er in dem Tagungsbeitrag seine Überlegungen deutlich in das "Projekt Benedikt" (so der Journalist Jan Ross) ein, d.h. sowohl in das Bemühen Papst Benedikts XVI., Vernunft und Glauben in ein neues, produktives Verhältnis zueinander zu bringen, als auch in die Kritik an einem überzogenen "ideologischen Materialismus". Dieser folge nämlich laut Schönborn letztlich aus einem evolutiven Denkmodell, da dies nur das Prinzip des "survival of the fittest" gelten lasse und also all jene auf der Strecke bleiben, die sich diesem Imperativ nicht beugen. Dagegen plädiert Kardinal Schönborn für eine Relecture der "Naturphilosophie", von der aus sich die Evolutionstheorie darwinscher Prägung kritisieren lassen soll: "Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass die entscheidenden Fortschritte in der Debatte um die Evolutionstheorie auf der Ebene der Naturphilosophie, ja letztlich der Metaphysik liegen werden", schreibt er.

"Es geht um die Vernunft"

Es ist diese Nähe zur Theologie und zum theologischen Denken Papst Benedikts XVI., die den Schlüssel zum Verständnis der Ausführungen Kardinal Schönborns bietet. So geht es ihm - wie er selbst in seiner letzten Katechese zum Thema "Schöpfung und Evolution" noch einmal deutlich gemacht hat - nicht darum, den Schöpfergott gegen Darwin auszuspielen, auch gehe es ihm nicht darum, einem wissenschaftlich getarnten Kreationismus Tür und Tor zu öffnen, wie er immer wieder betont (so stellt er deutlich heraus, dass die kreationistische Position auf einem Bibelverständnis basiert, das "die katholische Kirche nicht teilt"), vielmehr geht es ihm um den Vernunftbegriff: "Es geht um die Vernunft, wider die Behauptung der reinen Zufälligkeit und damit Sinnlosigkeit". Sie stellt laut Schönborn ein "Bindeglied" zwischen Religion und Wissenschaft dar und muss stets aufs neue in diesem Zwischenfeld verortet und bestimmt werden.

Einwände aus der Theologie

Bis heute gibt es auch aus dem Innenraum der Theologie Bedenken gegen diese Argumentation. Einen wichtigen Einwand hat etwa der Frankfurter Fundamentaltheologie Siegfried Wiedenhofer, selbst Mitglied des Schülerkreises Benedikts XVI., in einer Replik auf Schönborn formuliert: Was ist mit der Theodizee, mit dem unerklär-baren, unverschuldeten, hereinbrechen-den Leiden, mit all jenen - auch biblisch bekundeten - Momenten extremer Gottferne, die gerade nicht zum Staunen vor der Evidenz der Sinnhaftigkeit der Schöpfung einladen, sondern zum Schrei, zum Entsetzen, die in die "Gotteskrise" (J.B. Metz) führen, so seine Anfrage?

Keine Antwort auf das Leid

Kardinal Schönborn antwortete auf diese Anfrage bei besagtem Schülerkreistreffen ebenfalls biblisch: "Wie Hiob wissen wir die Antwort auf das Leid nicht". Die Komplexität der Natur und damit den Schöpfer zu bestaunen bedeute noch nicht, alles gut zu heißen, was diese Natur zu bieten habe, so Schönborn. Dennoch dürfe der Zweifel nicht so tief reichen, dass schöpferische Unvernunft und Chaos obsiegen. Schöpfungstheo-logie dulde keine simplen Antworten, so Schönborn. So komplex Schöpfung ist, so komplex muss auch unser von Demut getragener Zugang zu ihr sein. Auch dem Leiden müsse man mit dieser Demut begegnen - und mit der Solidarität mit den Leidenden.

 "Schmaler Korridor der Möglichkeiten"

 Schützenhilfe bekam Kardinal Schön-born im Rahmen des Schülerkreistreffens durch den als Referenten geladenen Wiener Chemiker und Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Peter Schuster. So sprach Schuster von einem "schmalen Korridor der Möglichkeiten", durch den das Leben, auch das menschliche Leben, überhaupt erst möglich geworden sei. Wären die geophysikalen Bedingungen auf der Erde nur ein wenig anders gewesen, so sähe die Welt heute ganz anders aus - und sie wäre vermutlich ohne menschliches Leben. Daher könne man diesen "schmalen Korridor" - selbst wenn die Naturwissenschaften keine direkten Eingriffe eines Schöpfergottes erkennen könnten - durchaus als "Schöpfung" bezeichnen, räumte Schuster damals ein.

Vatikan: Mit der Wissenschaft im Gespräch

 Aus Anlass des heurigen "Darwin-Jubiläumsjahres", in dem auch der Erstauflage seines Hauptwerkes über die "Entstehung der Arten" gedacht wird, wird die Debatte um die Bedeutung Darwins auch von Seiten des Vatikans weiter getrieben. So findet vom 3. bis 7. März im Vatikan eine Tagung statt, die die "Entstehung der Arten" einer kritischen Würdigung unterziehen will und die - wie der Präsident des Päpstlichen Kulturrates Erzbischof Gianfranco Ravasi im Gespräch mit Journalisten sagte - "einen offenen, effektiven und ideologiefreien Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie" aufbauen möchte.

Darwin nie verurteilt

Auch wenn die Kirche Darwin nie verurteilt und sein Buch nicht auf den Index gesetzt habe, gebe es auch kritische Anfragen seitens des katholischen Lehramtes, erklärt Ravasi. Daher wolle man bei der Tagung für Argumente aller Seiten offen sein und sowohl mit Vertretern der "Intelligent Design"-Bewegung als auch mit Naturwissenschaftlern ins Gespräch kommen.

Kein "deus ex machina"

Die ersten Reaktionen auf das unlängst veröffentlichte Tagungsprogramm lassen eine spannende Auseinandersetzung erwarten. So nannte der Jesuit Marc Leclerc, Philosoph an der Päpstlichen Universität Gregoriana, die "Intelligen Design"-These "völlig inakzeptabel". Gott komme nicht wie ein "deus ex machina", um Erklärungslücken zu schließen, die es in einer wissenschaftlichen Theorie gebe. Auch der Fundamentaltheologe Giuseppe Tanzella-Nitti bemängelte, dieser Denk-ansatz wolle die Rolle des Schöpfers letztlich in Richtung einer Intelligenz-Instanz verlagern.

Konferenz in  Indiana 

Bei der fünftägigen Konferenz, die die Gregoriana mit der US-Universität Notre Dame aus South Bend/Indiana organisiert, sollen drei Dutzend europäische und US-amerikanische Wissenschaftler referieren. Dazu zählen der Schweizer Medizin-Nobelpreisträger Werner Arber, der US-amerikanische Biologe und Genetiker Francisco J. Ayala, der deutsche Philosoph Jürgen Mittelstraß sowie der frühere päpstliche Hoftheologe, der Schweizer Dominikaner Kardinal Georges Cottier. Die Schirmherrschaft über die Tagung hat der Päpstliche Kulturrat übernommen. Die Veranstaltung ist Teil der vom Vatikan im Jahr 2003 gestarteten Reihe STOQ (Science, Theology and the Ontological Quest) zum interdisziplinären Gespräch zwischen Naturwissenschaft, Theologie und Philosophie.

 

 

 

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