News 04. 02. 2010

Berliner Erzbischof: Kirche hat Thema Missbrauch vernachlässigt

Kardinal Georg Sterzinsky hat den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch durch Geistliche nachdrücklich verurteilt.

In der Vergangenheit sei das Thema "offensichtlich vernachlässigt" worden, erklärte der Berliner Erzbischof in einem Beitrag für die Berliner Boulevardzeitung "B.Z.". Es habe eine "Kultur des Wegschauens und -hörens" gegeben.

Klar benennen

Sterzinsky rief dazu auf, in der Ausbildung von Seelsorgern und Pädagogen die Haltung der Kirche zu sexuellem Missbrauch klar zu benennen und auf die entsprechenden Konsequenzen zu verweisen. Der Kardinal lobte den Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, P. Klaus Mertes. Mit der Offenlegung der Missbrauchsfälle an dem Jesuitengymnasium habe dieser "mutig den wichtigen Schritt an die Öffentlichkeit gewagt". Zugleich betonte Sterzinsky, über die Ereignisse dürfe nicht vergessen werden, "dass der große Teil der Geistlichen in verlässlicher und gute Weise seinen Dienst tut".

Umfassend analysieren

Die "Katholische Elternschaft Deutschlands" (KED) rief am Donnerstag zu einer umfassenden Analyse auf nach den Missbrauchsfällen bei den Jesuiten auf. Es sei zu überlegen, "was sich in der katholischen Kirche ändern muss, damit solchen Auswüchsen künftig besser entgegengewirkt wird", sagte KED-Bundesvorsitzende Marie Theres Kastner in Bonn. Besonders wichtig seien Initiativen zu Hilfe, Aufarbeitung und Prävention. Dabei seien alle kirchlichen Institutionen und Verbände gefragt. so Kastner.

Nicht mit Zölibat vermengen

Der aktuelle deutsche kirchliche Missbrauchs-Skandal sei keine Folge der katholischen Sexuallehre oder des Zölibats, betonte unterdessen der Sprecher des "Arbeitskreises Engagierter Katholiken" (AEK) in den deutschen Unionsparteien, Martin Lohmann, in einem Gastbeitrag für den Berliner "Tagesspiegel". "Der Versuch einzelner, für das abscheuliche Verhalten der Geistlichen wenigstens teilweise die Sexuallehre der Kirche verantwortlich machen zu wollen, ist ebenso abwegig wie unlauter", so Lohmann: "Es wäre eine zusätzliche Verhöhnung der Opfer, nun Schuldige ausgerechnet in 'der' Kirche zu suchen". Wer den Zölibat als "Zwangszölibat" verzerre oder meine, diese Lebensform sei vor allem und beinahe ausschließlich eine Frage der Sexualität, werde weder dem Zölibat noch jenen gerecht, die sich ebenso freiwillig für das Priestertum entschieden hätten.

Missbrauch auch in Bonn

Sexuellen Missbrauch hat es nach Angaben eines ehemaligen Schülers auch am Bonner Aloisiuskolleg des katholischen Jesuitenordens gegeben. Er sei Anfang der 60er Jahre von einem Pater missbraucht worden, sagte der frühere Schüler der "Süddeutschen Zeitung". Aus Angst habe er nie darüber gesprochen. Der Pater sei inzwischen gestorben. Der Rektor des Kollegs, Pater Theo Schneider, sagte auf Anfrage, er habe von dem Fall erst aus der Zeitung erfahren. Er bot dem ihm bisher unbekannten Betroffenen Anonymität und Diskretion an, wenn er mit ihm sprechen wolle.

Bistum sucht verschwiegene Missbrauchsfälle 

Nach dem Skandal um sexuellen Missbrauch durch katholische Geistliche will das Bistum Hildesheim nach möglichen weiteren Fällen in der Vergangenheit suchen. "Im Punkt sexueller Missbrauch ist das ein Stück Vergangenheitsbewältigung", sagte Bistumssprecher Michael Lukas am Donnerstag. "Wir überlegen noch, wie wir damit umgehen, wir können schlecht 400 Priester-Akten durchgehen." Bischof Norbert Trelle habe mögliche Opfer und Kirchenmitarbeiter gleichermaßen aufgerufen, sich zu möglichen Vorfällen in zurückliegenden Jahren zu melden. "Die Frage ist, war das die Spitze des Eisbergs?"

Missbrauchsopfer will klagen

Im Skandal um sexuellen Missbrauch an deutschen Jesuiten-Schulen prüft eine Rechtsanwältin im Auftrag eines Opfers nun auch eine Zivilklage. Das Vorgehen gegen das Berliner Canisius-Kolleg habe ihrer Meinung nach Aussicht auf Erfolg, sagte eine auf Missbrauchsfälle spezialisierte Juristin. Die Schulleitung habe in den 70er und 80er Jahren möglicherweise trotz Anzeichen und Hinweisen nicht verhindert, dass auch weitere Opfer geschädigt wurden. Auch wenn die Taten selbst strafrechtlich eventuell verjährt seien, könne trotzdem ein zivilrechtlicher Anspruch bestehen, sagte sie. Dem von ihr vertretenen Opfer gehe es dabei sowohl um "wirkliche" Aufklärung als auch um Genugtuung.

St. Blasien im Visier

Der Skandal um einen früheren Jesuiten-Pater betrifft auch Baden-Württemberg: Die Staatsanwaltschaft nimmt das traditionsreiche Jesuiten-Kolleg in Sankt Blasien im Schwarzwald ins Visier. Nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ziel ist es laut Staatsanwaltschaft, den möglichen sexuellen Missbrauch der Schüler durch einen Geistlichen aufzudecken.

Bischöfe unter Druck 

Der Missbrauchsskandal an Schulen und Einrichtungen des katholischen Jesuiten-Ordens setzt die deutschen Bischöfe unter Druck. Das Thema sei kurzfristig auf die Tagesordnung der nächsten Vollversammlung gesetzt worden, teilte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Donnerstag mit. Die Bischöfe reagierten damit auf die aktuelle Entwicklung. Sie würden im Rahmen der Konferenz öffentlich Stellung beziehen. Das Treffen findet vom 22. bis zum 25. Februar in Freiburg statt. Es nehmen 65 Bischöfe aus den 27 deutschen Diözesen teil.

 

 

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Link:

- Private Internetseite für Betroffene mit Petition

 

 
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