News 27. 07. 2012

Beschneidung: Interreligiöse Allianz fordert Klarheit von Regierung

Die Regierung soll ein „klares Bekenntnis zur Religionsfreiheit“ abgeben und die „juristische Legitimität der religiösen Beschneidung in Österreich sicherstellen“: Das fordern mehrere gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften und Kirchen angesichts der aktuellen Debatte über die Beschneidung.

Die Debatte habe zu einer „Verunsicherung der jüdischen und muslimischen Bevölkerung“ geführt, hieß es seitens der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) und der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) bei einer Pressekonferenz am Freitag in Wien. Neben dem Präsidenten der Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, und IGGiÖ-Präsident Fuat Sanac nahmen auch der Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, sowie der lutherische Bischof Michael Bünker an der Pressekonferenz teil.

IKG und IGGiÖ sehen „Bedrohung der Religionsfreiheit“

In ihrer gemeinsamen Stellungnahme unterstrichen die Kultusgemeinde sowie die Islamische Glaubensgemeinschaft, dass sie die laufende Beschneidungsdebatte als „Kampagne“ und zugleich als „Bedrohung der Religionsfreiheit“ erachten. Entschieden wende man sich „gegen das von antireligiösen radikalen Einzelpersonen und Gruppen sowie populistischen politischen Kreisen vorgetragene Bemühen, durch staatlichen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Gut der Religionsfreiheit den Eltern das Recht zu nehmen, Kinder entsprechend ihren eigenen Wertmaßstäben zu erziehen“, so IKG und IGGiÖ.

 

Die Beschneidung sei für beide Religionen „von grundlegender religiöser Bedeutung“ und gerade für Juden ein „Identitätsmal“. Wer gegen sie vorgehe, verfolge offenbar noch andere Ziele, mutmaßten Sanac und Deutsch, „nämlich die Forderung, dass religiöse Erziehung von Kindern überhaupt zu verschwinden hat, weil sie die spätere religiöse Selbstbestimmung präjudiziere“.

Schipka: Religionsfeindliche Tendenzen

Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka unterstrich bei der Pressekonferenz den hohen Wert des Menschenrechts auf Religionsfreiheit. An diesem dürfe ebenso wenig gerüttelt werden wie an der geltenden Rechtslage in Österreich. Diese sieht vor, dass eine ordnungsgemäß durchgeführte Beschneidung bei Buben bei Vorliegen einer elterlichen Einwilligung straffrei ist. Schipka: „Das soll aus Sicht der katholischen Kirche auch so bleiben.“ Eine Änderung der Rechtslage würde Juden und Muslime „in die Illegalität abdrängen“. Dies wäre ein „Angriff auf die Religionsfreiheit“, der „auch Christen nicht unberührt lassen“ könne.

 

„Sehr besorgniserregend“ sind für Schipka vor allem jene Stimmen, die im Ausgang der Debatte „religiöse Erziehung insgesamt in Frage stellen“. Gerade die Wortmeldungen einzelner Akteure, die in diesem Kontext etwa auch die Spendung von Sakramenten an Kinder kritisierten, „zeigen im Kern eine religionsfeindliche Haltung“, betonte Schipka. Klar sei, dass das Recht auf Religionsfreiheit „auch das Recht der Eltern auf religiöse Erziehung ihrer Kinder“ beinhalte.

Bünker sieht „Feindseligkeiten gegen die Religion insgesamt“

„Feindseligkeiten gegen Judentum und Islam und gegen die Religion insgesamt“ ortet der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker in der laufenden Beschneidungsdebatte. So sei es „auffällig“, dass bei der Debatte nicht alle medizinischen Eingriffe in den Körper von Kindern – wie etwa das Stechen von Ohrringen, Impfungen, Piercings, ästhetische Eingriffe etc. – gleichermaßen diskutiert würden. Dies erhärte den Eindruck, dass die Debatte auf eine prinzipielle religionsfeindliche Haltung zurückgehe, „zu der auch die christlichen Kirchen nicht schweigen können“ und in denen sie „Solidarität mit der jüdischen und muslimischen Gemeinschaft“ zeigen müssten.

 

Zugleich zeigte sich Bünker „betroffen über die Art und Weise, wie über essenzielle Inhalte von Religionen diskutiert wird“ – und dies, obwohl die rechtliche Lage in Österreich - anders als in Deutschland – klar sei. Bünker spielte in diesem Zusammenhang den Ball zurück an das Justizministerium: dieses sollte durch Mitteilungen etwa an die Staatsanwaltschaften dafür sorgen, dass der Informationsstand über die Rechtslage überall gegeben ist. „Offenkundig gibt es ja bis zu den Landeshauptleuten darüber eine mangelnde Kenntnis.“ Die Verunsicherung unter der Bevölkerung müsse „ein Ende haben“, unterstrich Bünker den gemeinsamen Forderungskatalog.

Oberhummer: „Unheiliger kann solch eine Allianz kaum sein“

Mit heftiger Kritik reagiert die „Initiative Religion ist Privatsache“ auf das „Pressegespräch“ am Freitag.  „Jene Religionsgemeinschaften, die gemeinsam unter ÖVP-Regie für eine der brutalsten und religiös intolerantesten Diktaturen der Welt derzeit Imagepflege betreiben, versuchen die religiös motivierte Beschneidung, ein Akt der physischen sowie psychischen Körperverletzung, ausgerechnet mit dem Argument der Religionsfreiheit zu rechtfertigen“, meint Initiative-Vorstand Heinz Oberhummer in Anspielung auf das geplante „König-Abdullah-Zentrum“ in Wien, das vom Königshaus Saudi-Arabiens finanziert wird. „Unheiliger kann solch eine Allianz kaum sein“.

 

 „Wenn es darum geht, gegen den säkularen Staat aufzubegehren und finanzielle sowie juristische Privilegien zu verteidigen, geraten jahrhundertealte theologische Differenzen in Vergessenheit“, meint Initiative-Vorstand Heinz Oberhummer in einer Presseaussendung. „Die religiöse Bevormundung des Individuums hat für die Religionsgemeinschaften offensichtlich Vorrang“. Aus seiner Sicht würde die gegenwärtige Diskussion zunehmend in „unsachliche Kanäle“ geleitet. „Medizinische Scheinargumente, Antisemitismusvorwürfe und eben der Verweis auf alte Traditionen, die als 'Religionsfreiheit' verpackt werden, sind nicht dazu geeignet, seriöse Argumente, die den Grundrechten entspringen, zu entkräften“.

 

(KAP/religion.ORF.at)

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