News 26. 07. 2012

Beschneidungsdebatte: Harte Worte von Ariel Muzicant

Nach Deutschland polarisiert die Debatte über die religiöse Beschneidung von Buben auch in Österreich. Einen drastischen Vergleich zieht der Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant. Für ihn ist das  Beschneidungsverbot mit dem „Versuch einer neuen Shoah“ gleichzusetzen. Harsche Kritik an dieser Aussage kommt von der „Initiative Religion ist Privatsache“.

Die bisher härtesten Worte in der von Deutschland nach Österreich übergeschwappten Beschneidungsdebatte findet der ehemalige Präsident der IKGW , Ariel Muzicant. Das Verbot der rituellen Beschneidung von Buben „wäre dem Versuch einer neuerlichen Shoah, einer Vernichtung des jüdischen Volkes, gleichzusetzen - nur diesmal mit geistigen Mitteln“, so Muzicant in der „Kleinen Zeitung“.

 

Muzicants Nachfolger als  Präsident der IKGW, Oskar Deutsch, zeigt sich  wie sein Kollege aus Oberösterreich, Georg Wozasek, verwundert über die österreichische Diskussion, da die Rechtslage in Österreich geklärt sei. Wozasek spricht gegenüber dem „Standard“ von einer „müßigen Debatte“, der Eingriff sei harmlos und dauere nur Sekunden. „Bei Eltern, die ihren Kindern prophylaktisch die Mandeln oder den Blinddarm entfernen lassen, regt sich doch bitte auch keiner auf“, sagt Wozasek.

Juristen und Mediziner vorsichtig

Auf Seiten der Juristen und Mediziner scheint man aber nicht gänzlich von der Harmlosigkeit des Eingriffes überzeugt zu sein. Der Kammeramtsdirektor der Ärztekammer Steiermark, Dieter Müller, äußert Bedenken, „ob durch die Beschneidung von Buben aus religiösen Gründen deren Wohl gefördert wird“. In dem am Freitag erscheinenden Monatsmagazin der steirischen Ärztekammer, „Ärzte Steiermark“, empfiehlt der Jurist Medizinern, die den Eingriff vornehmen, eine „pflegeschaftsgerichtliche Bewilligung“ einzufordern.

 

Für Johannes Steinhart, Vizepräsident der Ärztekammer, handelt es sich aus medizinischer Sicht um einen „kleinen, in der Regel unkomplizierten Eingriff“. Er hält aber fest, dass die Entscheidung, ob eine religiöse Beschneidung vorgenommen werde oder nicht,  von jedem einzelnen Arzt „auf der Basis des eigenen Gewissens zu treffen ist“.

 

Im Justizministerium ist man auf Deeskalation aus und gibt an, dass religiöse Beschneidungen in Österreich „nach herrschender Lehre“ nicht strafbar sind. Im Kultusministerium verweist man auf das im April novellierte Israelitengesetz. Auf Seiten der Religionsgemeinschaften scheint aber dennoch die Angst vor einer „scheinheiligen und gefährlichen Debatte“, wie es Fuat Sanac, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich formulierte, umzugehen.

Reif: „Kein jüdischer Beschneidungskonsens“

Als „rhetorisches Armutszeugnis“ wertet Eytan Reif von der „Initiative Religion ist Privatsache“ den jüngsten Holocaustvergleich Muzicants. Reif, der in Israel zur Welt kam, als Jude aufwuchs und Mitgründer sowie Vorstandsmitglied der laizistischen „Initiative Religion ist Privatsache“ ist, lässt diese Argumentationslinie nicht gelten: „Die von Muzicant betriebene Instrumentalisierung des Holocaust für den Zweck der Legitimierung einer religiös motivierten physischen sowie psychischen Körperverletzung von Babys ist mit Holocaustleugnung gleichzusetzen“, so Reif.

 

Er zeigte sich zudem verwundert über die angebliche Befugnis Muzicants, Aussagen zu treffen, die für alle Juden Gültigkeit haben sollten. „Selbst in Israel, dem einzigen jüdischen Staat der Welt, werden die Stimmen der Beschneidungsgegner zunehmend hörbar. Egal ob es nun Herrn Muzicant gefällt oder nicht: Es gibt keinen absoluten jüdischen Beschneidungskonsens“.

Warnung vor „Diskussionstrittbrettfahrern“

Nicht zu unterschätzen sei jedoch auch die Gefahr der populistischen bzw. menschenfeindlichen Instrumentalisierung der gegenwärtigen Debatte, so Reif. Den Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler (FPK), der die Beschneidung unlängst als „Genitalverstümmelung“ bezeichnete, und seinem Amtskollegen aus Vorarlberg, Marcus Wallner (ÖVP), der auf Druck der FPÖ sich lediglich gegen die religiös motivierte Beschneidung aussprach, betrachtet Reif als „Diskussionstrittbrettfahrer, deren politische Motivation, sich nun wortgewaltig für Menschenrechte einzusetzen, ernsthaft hinterfragt werden sollte“.

 

(religion.ORF.at)

 

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