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Die Lehre Buddhas als Pfad zur Erlösung für alle Menschen

Von Michael von Brück (Biografie)

 

Im Verstehen fremder Religionen kommt es durch Übersetzungen in die eigene Sprach- und Vorstellungswelt zu Unstimmigkeiten und Begriffsverfälschungen. Man muss in der Frage von Menschen-, Welt- und Gottesbildern damit rechnen, dass die Begriffe, die wir verwenden, nicht für da wie dort stimmig sind. Religionen sind in sich zu vielgestaltig und historisch wandlungsfähig, als dass sie auf wenige Bilder, Begriffe oder feststehende Sätze reduziert werden könnten. Der folgende Beitrag skizziert verschiedene Paradigmen aus dem Buddhismus und benennt Entsprechungen und Gegensätze aus dem Christentum.

Es ist offenkundig, dass wir es im Kontext verschiedener Religionen mit unterschiedlichen Sprachen zu tun haben. Unterschiedliche Sprachen geben aber nicht bloß die Wirklichkeit auf verschiedene Art und Weise wieder, sondern sie sind Voraussetzung für die verschiedene Art und Weise, die Wirklichkeit wahrzunehmen. Bereits die Wahrnehmung von Wirklichkeit ist sprachlich geprägt und durch Unterschiede der Sprachen gekennzeichnet. Daraus folgt, dass die Vermutung von der einen Welt, die wir in einzelnen Religionen, in je eigenen Sprachen, nur verschieden deuten, nicht haltbar ist, denn sie ist selbst schon eine intellektuelle Konstruktion, die hinterfragt werden muss.

Sprache als Ausdruck unterschiedlicher Wahrnehmung

Im Arabischen, im Sanskrit oder im Deutschen etwa nehmen wir - durch diese Sprachen, gleichsam wie durch Brillen - unterschiedliche Wirklichkeiten wahr. Das bedeutet nun vor allem, dass sich dieser verschiedene sprachliche Ausdruck in den Religionen diatopisch - also auf verschiedene Religionen nebeneinander festgelegt - ebenso wie diachronisch - d.h. durch die verschiedenen Zeitläufe, in denen sich Religionen bilden und entwickeln - in unterschiedlichen Mustern, wie zum Beispiel spezifischen Zeitvorstellungen, Geschichtskonstruktionen, Anthropologien und Theologien niederschlägt. Allein aus der Sprachgestalt des Chinesischen oder des Sanskrit ergibt sich schon deshalb eine eminent andere Anthropologie als aus den semitischen Sprachen, wie etwa dem Arabischen oder Hebräischen, wobei auch überall innerhalb einer Sprachgemeinschaft gewisse historische Differenzen obwalten, natürlich auch im Griechischen. Die Differenzen gelten zum Beispiel für die grammatikalische Struktur, die wir in Sprachen feststellen können. So hängt etwa der Unterschied der Konstruktion von Personen und personalen Verhältnissen an dem, was wir den Gebrauch der Personalpronomina nennen. Diese grammatische Funktion wird in verschiedenen Sprachen fundamental unterschiedlich wahrgenommen. Es gibt auch Bilder, die assoziative Situationen ausdrücken, die wir in verschiedenen Sprachen vorfinden.

Sprachlich-metaphorische Parallelen

Ich erinnere daran, dass wir vielleicht gewisse Vorverständnisse wecken, wenn wir etwa die semitische Wurzel "rchm" (rächem) für eine der wesentlichen Charakteristika Gottes benützen: der Begriff bezeichnet die Gebärmutter und wird von uns mit "Barmherzigkeit" übersetzt und in der Tradition auch so gedeutet. Sie gilt von vorneherein als Inbegriff jenes Gottes, sei er nun als Jahwe oder Allah oder Vater angesprochen. Trotz seiner maskulinen Gestalt spielt diese mütterliche Metapher auch eine ganz entscheidende Rolle. Und hier gibt es eine Parallele zur buddhistischen Tradition und ihrer Sanskrit-Sprache. So haben wir im Mahayana-Buddhismus den Begriff "Tathagatagarbha" (Schoß des So-Gekommenen), der einen Ehrentitel des Buddha mit der Metapher des weiblichen Schoßes verbindet, um auszudrücken, dass alle Wesen im Keim bzw. in statu nascendi Buddha sind. Hier kann man also vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit in der Metaphorik vermuten, die in Kulturen, in der Kunst, in der Ästhetik der jeweiligen Religionen gewisse Assoziationen zu wecken vermag.

Es muss von einem Nicht-Verstehen ausgegangen werden

Aber vorschnelle Parallelisierungen sind dennoch verfehlt, weil in den assoziativen Kontexten, die Sprache schaffen, in der zeitlichen Entwicklung der jeweiligen Religionen, solche Sprachmetaphern sehr unterschiedlich aufgefasst und überliefert werden. Metaphern oder etymologische Ableitungen können auf Ähnlichkeiten verweisen und müssen dennoch keine Entsprechung darstellen, und sie sollten deshalb nicht zu schnell zu Schlüssen verleiten. Nach vielen Jahren des Engagements im interreligiösen Dialog drängt sich mir folgende Feststellung auf: Zunächst muss uns in aller intellektuellen Redlichkeit bewusst sein, dass am Anfang allen Verstehens ein Nicht-Verstehen eingestanden werden muss. Vorschnelle Übertragungen vorgefertigter Bilder, mit denen wir unsere eigene und auch andere Religionen festlegen, sollten prinzipiell in Frage gestellt werden. Nicht zuletzt passen die Anthropologien, die unserem Titel zugrunde gelegt werden, kaum zusammen.

Der Begriff "Erlösung"

Ein anderes Beispiel, das mit unserer Themenstellung zusammenhängt, betrifft den Begriff der "Erlösung". Dieser ist in gewissem Sinne christlich definiert, aber er ist andererseits auch keine abgeschlossene Kategorie. Auch hier wäre zunächst zu fragen, worauf man dieses deutsche Wort

"Erlösung" denn im griechischen Neuen Testament zurückführen solle. Es böten sich verschiedene Begriffe an: bereits in der paulinischen Theologie, aber noch einmal anders bei den Synoptikern und im johanneischen Schrifttum ist dieser Vorstellungskomplex unterschiedlich ausgeprägt. Der Begriff der Erlösung hat durch die europäische Kunstgeschichte, gerade durch die Musik, d.h. durch die Spiritualität der wechselnden Geschichte des Christentums, so sehr über das rein Theologische hinausgehende, emotional ergreifende, von der Hoffnung auf Erlösung oder Befreiung motivierte Konkretionen und entworfene Bilder erfahren, dass dieser Begriff keinesfalls in einem eindeutigen Theologumenon untergebracht werden kann.

Auffassungen von Erlösung unterscheiden sich

Erlösung ist eine Auslösung von etwas Gebundenem. Das Gebundene ist der Mensch in der Sünde. Erlösung ist also mit der Sündengeschichte und dem Sündenbewusstsein verbunden. Das ist eine anthropologisch überlieferte Grundvariante der christlichen theologischen und asketischen Tradition, die nicht einfach übergangen werden kann, wenn man auf den Buddhismus schaut, der das Problem von Selbstwahrnehmung des Menschen in seiner gegenwärtigen Situation anders beschreibt: als unbefriedigende Situation ("Unwissenheit"). Im Buddhismus geht es um das Erwachen aus Unwissenheit. Was in den semitischen Traditonen - wobei man auch diese nicht ohne weiteres so allgemein fassen kann, denn im Islam ist das anders als im Christentum oder Judentum - als Sünde angesehen wird, wird im Buddhismus als die Unwissenheit diagnostiziert.

Strukturelle Ähnlichkeiten

Strukturell mag hier manches stimmig und ähnlich sein, denn es geht in beiden Traditionen um das Empfinden des prinzipiellen Ungenügens der menschlichen Situation, beide Begriffe bezeichnen den Menschen im Widerspruch, dass er eben nicht das ist, was er eigentlich sein und haben möchte, dass er also in Differenz von Anspruch und Wirklichkeit oder von Ideal und Realität steht. Aber die spezifischen Inhalte werden durch die jeweilige Metaphorik bzw. durch theologische oder philosophische Konstruktionen verschieden dargestellt. Erlösung ist eben etwas anderes als Erwachen. Erlösung steht in einem ontologisch beschreibenden, das Verhältnis Gottes zur Welt, das Verhältnis der Geschichtlichkeit des Menschen zu Gott übergeschichtlich interpretierenden Zusammenhang. Die buddhistische Sprache, die buddhistischen Bilder des Erwachens haben einen prinzipiellen, auf die Erkenntnis des Menschen zugeschnittenen Charakter, ohne damit ontologische Aussagen implizieren oder sogar eine Gotteslehre in diesem Sinne begründen zu wollen.

Erlösungsbegriff versus Sündenbegriff

Erlösung und Erwachen: zwei sehr verschiedene Sprachmetaphern also, die einerseits strukturell an ähnlichen oder sogar gleichen Stellen in den Religionen stehen, dann aber andererseits jeweils unterschiedliche Selbstwahrnehmungen des Menschen in den Traditionen ermöglichen und eine ganz eigene geschichtliche Tradition prägen können. Man könnte durch die gesamte christliche und buddhistische Geschichte hindurch illustrieren, wie verschieden diese Begrifflichkeit die jeweiligen Traditionen geprägt hat. Der Erlösungsbegriff dort, der Sündenbegriff hier haben Grundkonstellationen des menschlichen Eigenbildes geprägt. Aber diese Grundkonstellationen sind nie statisch gewesen, sondern haben erhebliche Modifikationen erfahren. So weisen diesbezüglich die christlichen Traditionen einen enormen Bedeutungswandel nicht nur kognitiver, sondern auch emotioneller Art au£ Genauso große Vielfalt gibt es auch innerhalb der buddhistischen Geschichte.

"Alle Menschen" - eher Wunsch als Realität

Die Rede von dem Begriff "alle Menschen" ist ein kulturelles Konstrukt auf dem Hintergrund einer jeweiligen geschichtlichen Situation und nicht ein empirisches Faktum. "Alle Menschen" kann man ohnehin nicht wahrnehmen. Sie sind gerade in den Kulturen, in denen die Religionen, von denen wir sprechen, herausgebildet worden sind, oft gar nicht im Blick gewesen. Man hatte bestenfalls das eigene Volk im Blick, allenfalls im frühen Christentum noch den Mittelmeerraum. Wenn man vom Kosmos sprach, dann war das keine Metapher für eine Darstellung der Gesamtgeschichte der Menschheit! Ein solches Bewusstsein fehlte in Palästina im 1. Jhdt. nach Christus ganz genauso, wie es im 4. od. 5. Jhdt. v. Chr. in Indien gefehlt hat. Globale Erfahrungen sind viel spätere Erfahrungen, die vor allem in der europäischen Neuzeit auf gekommen sind und die vor allem uns heute bewegen. Von einem "für alle Menschen" zu sprechen, ist also eher ein Wunsch in unserem Horizont, sozusagen ein Wahrnehmungsfenster, in dem wir eine bestimmte Vorstellung und vielleicht auch einen ethischen Imperativ ausdrücken, als eine Deskription von irgend etwas tatsächlich Greifbaren, zumindest in der bisherigen Geschichte. Dadurch unterscheidet sich unsere heutige Situation von allen anderen menschlichen Situationen zuvor, insofern dieses "für alle Menschen" tatsächlich zum ersten Mal erfahrbar geworden ist.

Die Metapher der Heilung

Ich möchte die Frage nach dem "Pfad zur Erlösung für alle Menschen" an einer, wie mir scheint, universalen, d.h. gesamt-menschheitlichen Situation deutlich machen, die nun in besonderer Weise für Buddhismus und Christentum zutrifft, nämlich mittels der Metapher der Heilung. Buddha gilt als Arzt und Jesus wird besonders in der lukanischen Tradition ebenfalls in diesen Zusammenhang gestellt. Krank zu sein und von Krankheit durch einen Arzt geheilt zu werden ist sicherlich eine anthropologische Konstante, die man in verschiedenen Kulturen antrifft, wobei allerdings die Rolle des Arztes sehr verschieden sein kann. Es ist bekannt, dass der Buddhismus, besonders die frühe buddhistische Systematisierung der Predigt des Buddha, auf dem Schema einer medizinischen Diagnose aufgebaut ist.

Die vier edlen Wahrheiten

Die sogenannten Vier Edlen Wahrheiten, die ein Grundbestand des Pali-Kanons, der frühen buddhistischen Predigten, sind, kommen mehrfach immer wieder vor - in Pali und später in Sanskrit. Diese Vier Edlen Wahrheiten sind: l. Alles ist duhkha (der Begriff wird gewöhnlich mit "Leiden" übersetzt, aber dies ist nicht unmissverständlich). 2. Es gibt eine Ursache für das Leiden (und die wird diagnostisch aufgedeckt). 3. Es gibt eine Behandlungsmöglichkeit. 4. Diese Behandlung wird nun in der Verschreibung des sogenannten Edlen Achtfachen Pfades verabreicht. Dieser Viererschritt in der allgemeinen und speziellen Diagnostik, in der Analytik und sodann in der Therapie entstammt der indischen medizinischen Tradition, die zur Zeit Buddhas schon entwickelt war, wie wir aus medizinischen Sutras, Lehrbüchern, in Indien ersehen können. Ob die Formulierung der Vier Edlen Wahrheiten so auf den historischen Buddha zurückgeht oder nicht, wissen wir nicht. (Der Pali-Kanon ist höchstens 300 Jahre nach dem Tod des Buddha aufgeschrieben worden und lässt sehr stark die Tradition und systematisierende Sprache eines institutionalisierten Mönchtums erkennen.) Wie dem auch sei, der frühe Buddhismus hat jedenfalls das Wirken des Buddha im Sinne eines Arztes gesehen und auf dieses Schema rekurriert.

Buddha leitet den Blick des Menschen auf sich selbst

Was genau oder welche Krankheit heilt nun der Buddha? In welchem Sinne ist er Arzt? Er heilt das Selbstverhältnis des Menschen, d.h. das Verhältnis des Menschen zu sich selbst. Der Mensch lebt, so der Buddha, in einer geistigen Entfremdung, die ihm Leiden verschafft. Leiden wird dadurch überwunden, dass er den Blick in korrekter Weise auf sich selbst lenkt, und dies wird durch eine ganz spezielle spirituelle Übungspraxis - vor allem durch die Achtsamkeits-Meditation - möglich. Das ist, in Kürze, das Anliegen des Buddha. Alles andere, was daraus folgend im einzelnen an anthropologischen Erwägungen, genauen Analysen der Wahrnehmung und Beschreibung ausgeführt wird, was Bewusstseinsphänomene sind, was Wille ist, was Tat ist usw., das dient alles diesem Zweck, die Diagnose genauer zu stellen, um dann eine präzisere Therapie anzubieten. Das Selbstverhältnis, um das es geht, ist aber zunächst ein Wahrnehmungsverhältnis.

Der Mensch hat kein Ich

Nach buddhistischer Vorstellung nimmt sich der Mensch falsch wahr. Er nimmt sich wahr als ein Ich, das abgegrenzt von anderen Wesen seine eigene Identität hätte und dann erst in sekundären Interaktionen mit anderen Wesen ein Netz von Beziehungen bildet, durch die er sich als soziales Wesen verstehen kann und auch so lebt. Genau dies sei aber der Grundfehler: der Mensch ist nicht ein sich selbst konstituierendes Ich, ein atman, wie es bereits in der indischen Tradition vor dem Buddha hieß, sondern ein Nicht-Ich (anatman). Das ist der Grundsatz, den der Buddha wie einen Paukenschlag gegen die philosophischen Traditionen seiner Zeit hämmert: Der Mensch ist kein in sich selbst existierendes oder mit sich selbst identisches Ich, sondern dieses scheinbare Ich, das wir wahrzunehmen glauben, ist vielmehr von vornherein ein Produkt von Interaktionsmustern, von Relationen, die das in der Folge und in laufenden impermanenten Gestaltungen hervorbringen, was "Ich" bin.

Menschliches Individuum ist eine Fehlwahrnehmung

Dafür möchte ich ein Beispiel geben: Wenn jemand durch den Wald spazieren geht und Pilze sucht, entdeckt er einzelne Pilze, große und kleine, schöne und hässliche. Man nimmt einzelne Pilze wahr, und die lassen sich in ihrer Individualität beschreiben durch unterschiedliche Kriterien der Größe, des Gewichts, des Geruchs. Was wir normalerweise an uns selbst wahrnehmen ist dieses Individuelle, das im Kampf um den Lebensraum offenbar wird und im Kampf der Evolution auf und untergeht. Das, so sagt der Buddha, ist aber eine grundlegende Fehlwahrnehmung: das blinde Auge, von dem der Mensch geheilt werden muss. Denn in Wirklichkeit ist die Sache ganz anders. Jeder Pilzkundige weiß nämlich, dass die Wirklichkeit des Pilzes ausgeblendet worden ist, denn der Pilz liegt unter der Erde. Auf den ersten Blick unsichtbar, aber für den Pilzkundigen selbstverständlich, ist der Pilz das Myzel, das unter der Erde liegt. Der Pilz bringt nur die individuellen Fruchtkörper sekundär zu seiner Existenz nach oben.

Selbstwahrnehmung wird verändert

In diesem von mir angeführten Gleichnis ist also das Individuum nichts anderes als eine Ausstülpung, eine Ausprägung eines Netzes von Beziehungen, eines Myzels also, das nicht sofort sichtbar wird. Wenn wir erkennen, dass wir nur wie ein Pilz sind, der unter der Erde liegt, und wenn wir unsere Identität nicht einfach im äußeren Fruchtkörper wahrnehmen, sondern eben im Myzel, dann entwickeln wir sofort ein entspannteres Verhältnis zu uns selbst und zu den anderen, dann spiegeln wir uns selbst anders in den anderen und durch die anderen. Denn nach Buddha, dem Arzt, der in psychotherapeutischer Art und Weise heilen will, bilden wir uns ein, dieses individuelle Ich zu sein, also der Fruchtkörper. Dies aber stimmt nicht, die Wirklichkeit ist anders. Wir können diese Einbildung nicht durchhalten, weil die Verhältnisse anders sind. Wir versuchen das aber, weil wir unsere Identität, unsere Lebenskraft damit durchsetzen wollen. Wir können dieses Schein-Ich nur etablieren, indem wir uns ständig Dinge, Ideen, Phänomene einzuverleiben suchen. Dieses Einverleiben gibt dem Ich eine Schein-Identität.

Erlösung ist die Befreiung von falscher Wahrnehmung

Wir leben, um es mit Erich Fromm zu sagen, im Modus des Habens und vermitteln den Eindruck, dass wir jemand sind, weil wir haben. Auch diese Haltung zerbricht allerdings an der Wirklichkeit. Die Gier des Ich kann nicht zum Ziel kommen und sich nicht durchsetzen, weil so und so viele Lebewesen das gleiche Problem haben und sich unserem Zugriff des Habens einfach entziehen. In dem Maße, indem sie sich unserer Manipulation entziehen, reagieren wir mit Hass. Begierde und Hass sind treibende Kräfte, die uns unglücklich machen. Sie sind nur Kehrseiten ein und derselben Sache. Beide wurzeln in einer epistemischen Fehlhaltung und erzeugen jene Grundgifte, wie es im Buddhismus heißt, die zu überwinden sind. Um von dieser Fessel eines Projektionsmechanismus, der uns bindet und versklavt, befreit zu werden, muss die Wahrnehmung geändert werden. Erlösung, Befreiung wäre dann jener buddhistische Begriff, der von einer falschen Wahrnehmung bzw. einer inkorrekten Selbstwahrnehmung erlöst, die zu allen anderen falschen Wahrnehmungen führt. Das Wesentliche ist die Veränderung des Verhältnisses zu sich selbst.

Jesus will unser Verhältnis zu Gott heilen

Jesus, soweit wir das in aller Kürze und unter sträflicher Vernachlässigung der Differenzen in der griechischen Bibel sagen können, will auch ein Verhältnis heilen. Aber nicht primär das Selbstverhältnis - das stellt sich als sekundär heraus -, sondern vor allem das Gottesverhältnis. Die hebräische und auch die griechische Bibel sprechen von der Gebrochenheit des Gottesverhältnisses, angefangen beim Sündenfall, in der Urgeschichte um Kain und Abel, weiter bis zum Turmbau von Babel. Und dies ist dann vor allem auch das Thema der Propheten. Immer besteht das Problem im falschen Gottesverhältnis, d.h. im Ungehorsam, dem Sich-Widersetzen des Menschen gegen Gott, der aus seiner Abhängigkeit oder seiner engen Verbindung zu Gott auszubrechen versucht. Jesus lehrt und lebt durch seine Sprache, durch sein Sein, ein vollkommen kindhaftes Vertrauensverhältnis zu Gott, einen neuen Bund mit Gott. Damit läutet er authentisch eine neue Zeit ein. Das scheint in den Evangelien und im paulinischen Schrifttum dahinter zu stehen, wenn Jesus - unterschiedlich konzipiert - als Heiler oder Arzt verstanden wird.

Überlieferungen passieren mit Bildern und Mythen

Die buddhistische Tradition und die christliche Tradition stellen nun ihre Vorstellungen vom Heilen in einem jeweils ganz anderen Sprachuniversum dar. Es muss erst einmal geklärt werden, dass sie in unterschiedlichen Sprachbildern und Mythen angesiedelt sind. Man darf das nicht übergehen, es sei denn, man will eine ganz abstrakte Theologie oder Sprache erfinden, die gleichsam die Bilder, aus denen die Menschen leben, hinter sich lässt zugunsten einer Abstraktionsebene, auf der man die Unterschiede ausgeblendet hat und dann miteinander artifiziell kommunizieren kann. Das mag mal hilfreich, theologisch lehrreich, hochinteressant und auch sehr wichtig sein, aber es hat wenig sozialpsychologische Wirkung, denn die Menschen in den Religionen leben nicht in theologischen Konstruktionen, sondern in Bildern, Erzählungen, historisierten Mythen oder mystifisierten Historien. Gerade da finden sie ihre Identität. Das muss man ernst nehmen. Man muss diese Bilder und diese Sprachen selbst in Beziehung zueinander setzen.

Übersetzungen unterliegen zeitlichem Wandel

Auf diesem Hintergrund ist nun zu klären, was es heißt, wenn Buddha derjenige ist, der ein Selbstverhältnis heilt, und was es heißt, wenn Jesus ein Gottesverhältnis heilt oder eigentlich wiederherstellt. Das ist nicht dasselbe! Es unterliegt in den einzelnen Traditionen und noch mehr in der Übersetzungsarbeit der einzelnen Traditionen zueinander dem Wandel der Zeit. Man muss sich klar darüber werden, was man mit diesen Begriffen meint, um tatsächlich das zu sagen, was zu sagen ist, und nicht bloß Sprachmetaphern verwendet, die vielleicht gar nicht zu verstehen sind. Umgekehrt muss man versuchen, den anderen in seiner Sprachlichkeit wirklich ernst zu nehmen und vor allem ihn in seiner Differenzierung zu sehen. Schon allein die Vorstellung, es könnte das christliche Gottesbild mit dem buddhistischen Nicht-Gottesbild verglichen werden, ist unredlich. Die internen Differenzen in einer Religion sind so groß, dass deren Vernachlässigung den anderen in seiner existentiellen Betroffenheit nicht ernst nehmen würde. Wir würden nur eine Schablone austauschen oder verdünnte, abstrakte Begrifflichkeiten einsetzen, die vielleicht in den Hörsaal gehören, aber nicht in den interreligiösen Dialog, wo Menschen einander begegnen und kommunizieren wollen - Menschen, die von verschiedenen Metaphern, von Bildern, von Hoffnungen geprägt sind.

Intellektuelle Redlichkeit beim Verstehen

Intellektuelle Redlichkeit kommt im Verstehen zustande und wird durch Verstehen bewirkt. Wie verhalten sich Redlichkeit und Verstehen zueinander? Verstehen ist auf der einen Seite die Voraussetzung für Redlichkeit. Es bedeutet, das, was der andere mitteilen will, so aufzufassen, wie er es selbst tut. Wir sind sehr schnell in der Gefahr zu sagen: Mein lieber Freund, dein Buddhismus ist gar kein richtiger Buddhismus. Was ich dir sage als deutscher Professor, das ist richtiger Buddhismus, so hat Buddhismus zu sein. Wenn du das jetzt noch nicht so präsentierst, dann bitte lerne von mir, was Buddhismus ist, erst dann bist du fähig, dich mit mir zu verständigen. Diese Haltung mag im akademischen Diskurs ihren Platz haben, sie führt aber nicht zum Dialog. Dialog soll den anderen - und zwar auch in seiner Gruppe - so wahrnehmen, wie er oder sie sich selbst vorstellt. Redlichkeit im Umgang ist an solches Verstehen gebunden. Man könnte zum philosophischen Begriff des Verstehens natürlich sehr viel mehr sagen. Die konkrete Situation ist die: Der andere ist in seiner Komplexität ein Wesen, das sich durch Sprache, Bilder, Hoffnungsvorstellungen, Religionssysteme in einer Art und Weise ausdrückt, die nicht dem Standard entspricht, den wir in Lehrbüchern von den Religionen vorgeführt bekommen.

Notwendigkeit verlässlicher Standards

Umgekehrt möchte ich auch sagen: Verstehen setzt diese Redlichkeit voraus. Wir brauchen natürlich gewisse Standardisierungen, wir brauchen konsistente Übersetzungen. Ich könnte das ganze Thema allein an dem Begriff und an der Schwierigkeit des Übersetzens deutlich machen. Wir glauben, ein Begriff heißt so und nicht anders, und übersetzen ihn dementsprechend, aber die Lexika sind großteils im 19. Jhdt. entstanden und transportieren nicht die ewige Weisheit an sich, sondern den Wissensstand und die Philosophie, Anthropologie, Kosmologie und auch die politische Situation des 19. Jhdts. Auch wenn wir die Lexika ständig verbessern, bleibt immer noch das Defizit, dass wir in den Übersetzungen unsere metaphysische, anthropologische, theologische Tradition mittransportieren. Wir brauchen, um konsistent zu sein, um überhaupt ein Gespräch über einen längeren Zeitraum hinweg zu führen, eine gewisse Verlässlichkeit, also Standardisierungen, die wir allerdings immer wieder in Frage stellen müssen.

Probleme bei durchgeführten Übersetzungen

Als das Christentum sich ausbreitete, verschmolz es mit verschiedenen Kulturen. Schon die Übersetzung vom Griechischen ins Lateinische ergab ein beachtliches Problem. Bis in die moderne Theologie hängen viele Schwierigkeiten damit zusammen, dass man nicht so glatt vom Griechischen ins Lateinische übersetzen kann. Damals, vor 1800 Jahren, genauso wie heute. Es handelt sich aber nicht nur um eine Übersetzung vereinzelter Texte, sondern um einen breitgefächerten Kulturtransfer allerersten Ranges. Dasselbe passierte auch, als der Buddhismus von Indien nach China kam. Da ging es nicht um die Übersetzung vom Griechischen ins Lateinische, sondern vom Sanskrit ins Chinesische. Das sind Sprachen, die ebenso verschieden sind wie das Deutsche und das Chinesische, zwei völlig verschiedene Sprachfamilien. Die Übersetzungsleistung des Buddhismus aus Indien nach China kommt fast einer Neuschöpfung des Buddhismus gleich. (Der Buddhismus kam im 1. Jhdt., spätestens im 2. Jhdt. nach China.)

Marga - Zum Begriff des Pfades

Allein der Begriff marga ist bedeutungsvoll - marga oder Pfad wird im Chinesischen mit Dao wiedergegeben. Es gibt aber sehr viele Übersetzungen von Dao. Marga ins Chinesische mit nur einem Begriff übersetzt, ist fast ein Unding. Auch ins Griechische übertragen wäre nicht einfach "hodos" (Weg, Straße), sondern eher logos das angemessene Wort. Viele chinesische Christen bleiben auch dabei. Welche Schwierigkeiten aller Art das dann nach sich ziehen kann, liegt auf der Hand. Wenn wir von Pfad sprechen, nehmen wir einen deutschen Begriff. In der griechischen Bibel übersetzen wir meistens nicht mit Pfad: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben." Da steht zwar hodos, aber gemeint ist der logos, der ewige logos, der in die Welt gekommen ist (Joh 1). Es handelt sich also um einen Weg, der zumindest das universale Prinzip des Seins in sich verkörpert. Das ist im Buddhismus auch der Fall. Der Weg ist nicht einfach eine Praxis, die ich nun einschlage oder auch nicht, sondern der Weg ist eine Meditation, die mich vom Pathos des Alltags loslöst, in die Tiefe und den Klang des Universums einstimmt. Das ist eine buddhistische Metapher aus dem Avatamsaka-Sutra. Der Weg ist nicht etwas Äußerliches, sondern ein innerer Erfahrungsweg, ein Eintritt in tiefere Schichten des Bewusstseins. Der Weg dient dazu, in den Strom des Lebens, in das Licht des Bewusstseins einzutauchen.

Von der Bedeutung des Weges

Der Weg im Buddhismus ist aber auch der Nicht-Weg. Der Weg besteht auch im Weggehen, im Wege-hinter-sich-Lassen. Mensch zu werden bedeutet dann, Menschsein hinter sich zu lassen. Sein bedeutet dann - ich apostrophiere Romano Guardini in seinem Buch "Der Herr", wo er die Bemerkung über den Buddha fallen lässt -, dass dieser das Unfassliche unternommen habe, das Sein aus den Angeln zu heben. Ein völliges Sich-Loslassen, das ist der Pfad der Befreiung für alle Menschen. Dies wiederum hat Konsequenzen für das Selbstbild, für das Weltbild, für das Gottesbild. Es ist kein Weg, der individualistisch gegangen wird.

Buddhismus hat nichts zu tun mit Individualismus

Der Buddhismus als individualistische Selbsterlösung, als Heilspfad des einzelnen für sich selbst, der sich von der Welt zurückzieht, wäre völlig missverstanden. Das ist eine illegitime Projektion des individualistischen bürgerlichen Selbstbildes der Europäer des 19. Jhdts. auf Asien. Der Buddhismus ist vielmehr auch eine weltgestaltende Religion gewesen und zwar bis heute, eine hochpolitische Religion. Der Buddhismus hat mit dem sangha ja versucht, eine ideale Gesellschaft zu schaffen - und das mit allen politischen Konsequenzen, vor allem in Süd-, Zentral- und Ostasien. Der Mensch wird im Buddhismus primär als soziales Wesen verstanden, und das viel radikaler als in der Anthropologie des Christentums: Der Mensch ist nur, was er ist, aus seinen Relationen, er existiert (wie alles andere auch) nur in gegenseitiger Abhängigkeit (pratityasamutpada). Das ist etwas ganz anderes als die Subjektivitätsphilosophie des 19. Jhdts.

Abhängigkeit zwischen einzelnen Phänomenen

Wenn ich konkrete Beispiele für den Pfad des Buddha und damit für die Bedeutung der spirituellen Praxis geben darf, dann in zweierlei Hinsicht: die Einübung des Nicht-Selbst (anatman) und die Verbindung mit allen Wesen. Anatman oder dann im Mahayana-Buddhismus sunyata, Leerheit, bedeutet nach Nagarjuna - dem großen Philosophen, der in der Mahayana-Tradition des Buddhismus das gewesen ist, was Thomas von Aquin für die Geschichte des europäischen Christentums war - die Substanzlosigkeit der Dinge. Um das zu erklären, identifiziert er die Leerheit (sunyata) mit dem anderen wichtigen Begriff des Entstehens in gegenseitiger Abhängigkeit (pratityasamutpada): Alle Phänomene in der Welt, nicht nur die materiellen, sondern auch die geistigen, entstehen in gegenseitiger Abhängigkeit. Ein ganz einfaches Beispiel: Nacht entsteht in Abhängigkeit vom Begriff Tag. Der Begriff Mutter entsteht in Abhängigkeit vom Begriff Kind oder auch Vater.

Begriffe bestehen nur im Kontext zu anderen

Die Begriffe als einzelne sind überhaupt nichts in sich selbst, sondern nur in Korrelation zu anderen Begriffen. Unsere ganze Grammatik funktioniert auf diese Art und Weise, und so auch die Semantik. All unsere Wahrnehmung ist so, aber nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern die Wirklichkeit als solche. Das ist der Grund, warum heute so viele Gespräche zwischen moderner Physik, also vor allem Quantentheorie usw., und buddhistischen Wirklichkeitsmodellen geführt werden. Wirklichkeit ist nicht Substanz oder eine Pluralität von Substanzen, die mit einander in Beziehung treten, sondern Wirklichkeit ist die Beziehung selbst, eine Struktur, ein Netz von Beziehungen, die dann das entstehen lassen, was wir vergängliche Substanzen nennen. Dies ist jene fundamentale Praxis, die im Buddhismus auf sehr verschiedene Weise eingeübt wird: intellektuell durch logische Systeme - Buddhismus hat überhaupt nichts mit Gefühlsseligkeit oder Aufhören des Denkens zu tun, sondern setzt eine strikte Logik voraus, die er seit Jahrhunderten entwickelt hat.

Wahrnehmung kann über Buddha erfolgen

Eine andere Wahrnehmung ist die über den Kult, über die Verehrung des Buddha in seinen verschiedenen Formen. Der eine Buddha manifestiert sich in jedem Sandkorn. Dies zu verehren, nachzuahmen, ästhetisch, kultisch nachzuvollziehen, ist ein wesentlicher Aspekt des Pfades des Buddha. Dies wird nun durch eine unmittelbare geistige Erfahrung wahrgenommen, die wir Meditation oder Versenkung nennen. Indem das Bewusstsein äußere Objekte aufgibt, indem es dann über die Atemkontrolle mit sich selbst in Kontakt kommt, sich selbst spiegelt, erkennt es diese Netzstruktur seiner selbst, die Nicht-Dualität aller Phänomene in der Welt. Das ist das, ganz knapp gesagt, worum es in buddhistischer Meditation geht. Dies wiederum geschieht durch Achtsamkeit auf das individuelle, singuläre Phänomen. Die ganze buddhistische Meditation ist Achtsamkeitsmeditation, das heißt die spirituelle Praxis ist Übung der Achtsamkeit.

Achtsamkeit ist Vorraussetzung für spirituelle Praxis

Zur Frage nach der spirituellen Praxis und der Redlichkeit im Dialog möchte ich antworten, dass die Achtsamkeit Voraussetzung für alles weitere ist. Achtsamkeit bedeutet, dass ich mich selbst wahrnehme, dass ich meine eigenen Denkstrukturen, meine eigenen Gefühlsstrukturen, meine eigene Art und Weise, wie ich jetzt hier in diesem Augenblick bin, gegenüber anderen und mit anderen, wahrnehme und damit bzw. dadurch erst den anderen wahrnehmen kann. Wenn ich die Qualität des Spiegels erkenne, kann ich auch das Gespiegelte in klarerer Form wahrnehmen. Wenn ich nur mich selbst sehe, meine eigenen Denkformen, dann kann ich nicht in den Dialog eintreten. Der redliche Diskurs ist die genaue Selbstwahrnehmung, die Erkenntnis der Projektionen, die ich habe, die ich vermeiden will, aber doch immer wieder habe und auch die der anderen dazu, der redliche Diskurs also, so scheint mir, ist an die spirituelle Praxis, Erfahrung und Übung der Achtsamkeit gebunden. Nur so wird echtes Verstehen möglich und tatsächlich eingeübt.

Unachtsamkeit ist auch Grund für mangelndes Verstehen

Ein wesentlicher Teil unseres Nicht-Verstehens des anderen, aber auch unser selbst, das Misslingen von Dialogen aller Art, nicht nur zwischen den Religionen, sondern auch zwischen Menschen in ein und derselben Sprachwelt, Kultur und Religion, ist mangelnde Achtsamkeit. Nicht erst die Deutungen, sondern schon die Wahrnehmungen sind immer auch Projektionen. Aber es ist ein Unterschied, ob ich naiv meine, meine Wahrnehmung spiegele die Welt, wie sie ist, und dann versuche, diese Wahrnehmung mir und anderen als "Wahrheit" aufzuoktroyieren, oder ob ich weiß, dass meine Wahrnehmung auch immer Projektion ist, in der ich aber nicht unweigerlich gefangen bleiben muss, sondern die ich auflösen kann, indem ich sie relativiere. Im Dialog ist die Chance gegeben, dass Selbstwahrnehmungen und Fremdwahrnehmungen einander spiegeln. Ich lerne ja im Dialogpartner nicht nur das andere oder die andere Religion kennen, sondern ich lerne einen Spiegel kennen, der mich selbst spiegelt. Das gilt wechselseitig, wie das Sprichwort sagt: "Was Peter über Paul sagt, sagt genauso viel über Peter wie über Paul aus."

Analyse der Wahrnehmung führt zu neuen Erkenntnissen

Meine Aussagen z.B. über den Buddhismus sagen nicht nur etwas über die andere Religion aus, sondern sie sagen genauso viel über mich, das heißt über meine Wahrnehmung des Buddhismus. Man kann historisch sehr eindrücklich zeigen, wie solche früheren Wahrnehmungen, die wir Heutigen meistens als Fehlwahrnehmungen diagnostizieren, zustande gekommen sind. Wie auch immer, wir jedenfalls meinen, dass nun endlich wir diejenigen seien, die die andere Religion endlich "richtig" wahrnehmen, nicht nur weil wir ein methodenkritisches Bewusstsein entwickelt haben, sondern weil wir auch die Geschichte der früheren Wahrnehmungen zu analysieren in der Lage sind. Wir seien nun die ersten, die mit einem hermeneutischen Bewusstsein und klarer Textkritik an den Buddhismus herantreten. Das ist zwar so nicht ganz richtig, aber dennoch ist die selbst-kritische und methodenbewusste Relativierung des Verstehensprozesses, die Entwicklung einer historischen Hermeneutik also, ein Gewinn. Wir können aber gewiss sein, dass in 50 oder 100 Jahren unsere Enkel oder Urenkel unsere Arbeiten ebenso kritisch relativieren werden. Das muss uns nicht traurig stimmen, denn wir sind nicht einfach Glied in einer Kette von Interpreten des Vergangenen, sondern wir sind Glieder in einer lebendigen Tradierungsgeschichte, in einer lebendigen Wirkungsgeschichte von alten Bildern und Ereignissen und Sprachgestalten, die wir in den Religionen verkörpert finden, die einander begegnen und in dieser Begegnung mit Achtsamkeit durch spirituelle Praxis überhaupt erst Kontur gewinnen. Wir vermögen dann in Redlichkeit die Religionen nicht nur wahrzunehmen, sondern neu zu gestalten. Einfacher gesagt: Interreligiöser Dialog ist nicht nur ein Dialog über verschiedene Religionen, sondern in aller selbstbescheidenen Redlichkeit auch ein Stück Neuschöpfung, Aktualisierung von Religion überhaupt.

 

Gekürzt und bearbeitet von Ernst Pohn

 

>> Sprache als Ausdruck unterschiedlicher Wahrnehmung

>> Sprachlich-metaphorische Parallelen

>> Es muss von einem Nicht-Verstehen ausgegangen werden

>> Der Begriff "Erlösung"

>> Auffassungen von Erlösung unterscheiden sich

>> Strukturelle Ähnlichkeiten

>> Erlösungsbegriff versus Sündenbegriff

>> "Alle Menschen" - eher Wunsch als Realität

>> Die Metapher der Heilung

>> Die vier edlen Wahrheiten

>> Buddha leitet den Blick des Menschen auf sich selbst

>> Der Mensch hat kein Ich

>> Menschliches Individuum ist eine Fehlwahrnehmung

>> Selbstwahrnehmung wird verändert

>> Erlösung ist die Befreiung von falscher Wahrnehmung

>> Jesus will unser Verhältnis zu Gott heilen

>> Überlieferungen passieren mit Bildern und Mythen

>> Übersetzungen unterliegen zeitlichem Wandel

>> Intellektuelle Redlichkeit beim Verstehen

>> Notwendigkeit verlässlicher Standards

>> Probleme bei durchgeführten Übersetzungen

>> Marga - Zum Begriff des Pfades

>>Von der Bedeutung des Weges

>> Buddhismus hat nichts zu tun mit Individualismus

>> Abhängigkeit zwischen einzelnen Phänomenen

>> Begriffe bestehen nur im Kontext zu anderen

>> Wahrnehmung kann über Buddha erfolgen

>> Achtsamkeit ist Vorraussetzung für spirituelle Praxis

>> Unachtsamkeit ist auch Grund für mangelndes Verstehen

>> Analyse der Wahrnehmung führt zu neuen Erkenntnissen

 
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