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20. Aug 99von Marcus Marschalek aktualisiert
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Wort der
Begrüßung für Papst Johannes Paul II
durch Kardinal Christoph Schönborn
zu Beginn der Eucharistiefeier am Heldenplatz
"Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte
der Unterwelt werden sie nicht überwältigen" (Mt 16,18).
Mit diesem Wort des Herrn an Simon Petrus begrüßen wir den Nachfolges des Apostels
Petrus, in der Gewißheit des Glaubens, daß Jesu Wort durch alle Jahrhunderte
feststeht und wirksam bleibt.
Zum zweiten Mal dürfen wir mit Ihnen, Heiliger Vater, hier auf dem
"Heldenplatz" Gottesdienst feiern: 1983 war es die "Europavesper",
heute die Seligsprechung dreier Österreicher im Rahmen der Eucharistiefeier. Heute wie
vor 15 Jahren geht unser Blick weit über die Grenzen unseres Landes hinaus, auch über die
Grenzen, die Sünde und Schuld zwischen Menschen und Völkern gezogen haben und die der
Heilung und Versöhnung bedürfen: Die Wunden der Verachtung, Verfolgung und Vernichtung
des jüdischen Volkes; der Riß der Glaubensspaltung; die Gräben, die Österreich in
verfeindete Lager geteilt haben; die Konflikte in unserer Kirche, die bei manchen das
Vertrauen in den Papst und die Bischöfe erschüttert haben. All das ruft nach Umkehr,
Vergebung, Versöhnung und Erneuerung.
An solchen positiven Zeichen fehlt es nicht: Heute feiern Gläubige aus vielen Ländern
mit Ihnen, Heiliger Vater: besonders zahlreich aus Polen
"Serdecznie witam w Wiedniu polskich pielgrzymow, ktorzy przybyli na spotkanie z
swoim i naszym Ojcem Swietym!"
aus den Nachbarländern, aus den Afroasiatischen Gemeinden hier in Wien, aus den Gemeinden
unserer Erzdiözese und aus den anderen Diözesen unseres Landes. Die konzelebrierenden
Kardinäle und Bischöfe sind Zeichen dieser die Grenzen überschreitenden Gemeinschaft
der Kirche: die Kardinäle aus Krakau und Prag, aus Nitra und Estergom, aus Köln (aber er
stammt aus Schlesien!) und aus Paris (dessen Eltern aus Galizien kamen), die drei
Nachbarbischöfe, aus Brünn (der Heimat Sr. Restitutas), aus Trnava und aus Györ (der
Nachfolger des vor kurzem selig gesprochenen Bischofs Vilmos Apor).
Doch vor allem sind Sie selber, Heiliger Vater, Zeichen der Einheit und der
Versöhnung. Die Liebe Christi drängt Sie (2 Kor 5, 14), die Mühe der Reise
auf sich zu nehmen und uns, Ihre Brüder und Schwestern, nach dem Auftrag Jesu, im Glauben
zu stärken (vgl. Lk 22, 32) und uns, unserem Land, unseren Nachbarn, die Botschaft
der unzerstörbaren Hoffnung zu bringen: die Botschaft von Kreuz und Auferstehung Jesu
Christi, deren Strahlkraft Sie mit Ihrem ganzen Leben bezeugen.
Willkommen in Wien, Heiliger Vater !
Grüß Gott und Vergelts Gott !
Predigt des Papstes bei Festgottesdienst am Heldenplatz in Wien
1. "Für wen halten mich die Leute?" (Lk 9, 18)
Diese Frage hat Jesus einmal seinen Jüngern gestellt, die mit ihm unterwegs waren. Auch
den Christen auf den Straßen unserer Zeit legt Jesus die Frage vor: "Für wen halten
mich die Leute?"
Wie vor fast zweitausend Jahren in einem versteckten Winkel der damals bekannten Welt, so
scheiden sich auch heute an Jesus die Geister: Die einen billigen ihm die Fähigkeit
prophetischer Rede zu. Andere halten ihn für eine großartige Persönlichkeit, ein Idol,
das Menschen zu fesseln vermag. Wieder andere trauen ihm sogar zu, eine neue Epoche
einzuleiten.
"Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" (Lk 9, 20)
Die Frage kann man nicht neutral beantworten. Sie verlangt eine Grundsatzentscheidung und
geht alle persönlich an. Auch heute stellt Jesus die Frage: Ihr Katholiken
Österreichs, ihr Christen dieses Landes, ihr Bürgerinnen und Bürger, für wen haltet
ihr mich?
Es ist eine Frage, die aus dem Herzen Jesu kommt. Wer sein eigenes Herz öffnet, der
wünscht sich, daß das Gegenüber nicht nur mit dem Kopf antwortet. Die Frage aus dem
Herzen Jesu muß uns selbst zu Herzen gehen: Wer bin ich für Euch? Was bedeute ich
Euch? Kennt Ihr mich eigentlich? Bekennt Ihr Euch zu mir? Habt Ihr mich lieb?
2. Damals hat Petrus als Sprecher der Jünger geantwortet: Wir halten dich "für den
Messias Gottes" (Lk 9, 20). Etwas ausführlicher gibt Matthäus das Bekenntnis
des Petrus wieder: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt
16, 16).
Heute bekennt der Nachfolger des Apostels Petrus, der ich durch Gottes Gnade bin,
stellvertretend für Euch und gemeinsam mit Euch: Du bist der Messias Gottes. Du bist
Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
3. Im Laufe der Jahrhunderte wurde immer wieder um das richtige Bekenntnis gerungen. Dank
sei Petrus, dessen Worte einen Maßstab gesetzt haben!
An ihm müssen sich die Bemühungen messen lassen, mit denen die Kirche auf ihrem Weg
durch die Zeit versucht auszudrücken, was ihr Jesus bedeutet. Dabei genügt das
Lippenbekenntnis allein nicht. Die Kenntnis von Schrift und Tradition ist wichtig, das
Studium des Katechismus ist wertvoll, aber was nützt das alles, wenn dem Glaubenswissen
die Taten fehlen?
Das Christusbekenntnis ruft in die Christusnachfolge. Zum richtigen Bekenntnis muß
das richtige Leben treten. Rechtgläubigkeit verlangt Glaubwürdigkeit. Diese
anspruchsvolle Wahrheit hat Jesus den Seinen gegenüber von Anfang an nicht verschwiegen.
Gerade hat Petrus ein außerordentliches Bekenntnis abgelegt. Im gleichen Atemzug müssen
er und der ganze Jüngerkreis sich von Jesus erklären lassen, was ihr Meister sich von
ihnen erwartet: "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme
täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach" (Lk 9, 23).
Wie es am Anfang war, so ist es bis heute geblieben: Jesus Christus sucht nicht nur
Menschen, die ihm zujubeln. Er sucht Menschen, die ihm nachfolgen.
4. Liebe Schwestern und Brüder! Wer die Geschichte der Kirche mit liebendem Auge
betrachtet, darf dankbar entdecken, daß es trotz aller dunklen Punkte und Schattenseiten
immer und überall Menschen gegeben hat und gibt, deren Leben neues Licht auf die Glaubwürdigkeit
des Evangeliums wirft.
Heute wird mir die große Freude geschenkt, drei Christen aus der Kirche Eurer Heimat in
das Buch der Seligen eintragen zu dürfen. Jeder von ihnen hat auf eigene Weise das
Messiasbekenntnis mit dem persönlichen Lebenszeugnis eingelöst. Alle drei zeigen uns,
daß mit "Messias" nicht nur ein Titel für Christus gemeint ist, sondern die
Bereitschaft, an der messianischen Ordnung mitzuarbeiten: Große werden klein und Schwache
kommen zum Zug.
Auf dem Heldenplatz, hier und heute, haben nicht die Helden der Welt das Wort, sondern die
Helden der Kirche, drei neue Selige. Vor sechzig Jahren hat vom Balkon dieses Platzes
aus ein Mensch für sich das Heil proklamiert. Die neuen Seligen haben eine andere
Botschaft. Sie sagen uns: Nicht in einem Menschen liegt das Heil, sondern: Heil
Christus, dem König und Erlöser!
5. Jakob Kern entstammt einer einfachen Wiener Arbeiterfamilie. Aus seinem Studium
im Knabenseminar in Hollabrunn reißt ihn der erste Weltkrieg heraus. Eine schwere
Kriegsverletzung macht sein kurzes Leben im Priesterseminar und im Prämonstratenser-Stift
Geras zu einer, wie er selber sagt, "Karwoche". Um Christi willen hält er sein
Leben nicht fest, sondern opfert es bewußt auf für andere. Zunächst wollte er
Weltpriester werden. Doch ein Ereignis sollte für ihn andere Weichen stellen: Ein
Prämonstratenser verläßt sein Kloster und schließt sich der neu entstandenen, von Rom
getrennten tschechischen Nationalkirche an. In diesem traurigen Vorfall entdeckt Jakob
Kern seine Berufung: Er will für den Ordensmann Sühne leisten. Gewissermaßen an seiner
Stelle tritt Jakob Kern ins Kloster Geras ein. Gott hat das Geschenk des
"Stellvertreters" angenommen.
Der selige Jakob Kern steht vor uns als Zeuge für die Treue zum
Priestertum. Ursprünglich war es ein Kindertraum: Schon als kleiner Junge hat er
Pfarrer gespielt. Im Laufe seines Lebens ist dieser Wunsch immer reifer geworden. Im
Leiden geläutert, ging dem Ordensmann der tiefe Sinn priesterlicher Berufung auf: das
eigene Leben mit dem Kreuzesopfer Christi zu vereinen und für das Heil anderer
stellvertretend hinzugeben.
Möge der selige Jakob Kern, der ein lebensfroher, "farbtragender" Student war,
vielen jungen Männern Mut machen, dem Ruf Christi zum Priestertum hochherzig zu folgen.
Seine Worte von damals sind uns gesagt: "Heute braucht man mehr denn je ganze und
heilige Priester. Jedes Gebet, jedes Opfer, jede Mühe und Plage werden, wenn mit der
richtigen Intention verbunden, heiliges Saatgut Gottes, das früher oder später seine
Frucht bringt".
6. In Wien hat sich vor hundert Jahren Pater Anton Maria Schwartz vom Los der
Arbeiter anrühren lassen. Vor allem den jungen Menschen in der Ausbildung, den
Lehrlingen, widmet er sein Leben. Seine Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen vergißt er
nie, so daß ihn mit den Bedürftigen aus dem Arbeitermilieu eine Herzensverwandtschaft
verbindet. Um ihnen zu helfen, gründet er die "Kongregation der frommen
Arbeiter" nach der Regel des heiligen Josef von Kalasanz, die bis heute blüht. Eine
große Sehnsucht erfüllt ihn: eine Gesellschaft im Umbruch zu Christus zurückzuführen
und sie in Christus zu erneuern. Er hat Verständnis für die Not der Lehrlinge und
Arbeiter, denen oft Halt und Orientierung fehlt. Mit Phantasie und Liebe wendet er sich
ihnen zu. Er findet Mittel und Wege, "die erste Arbeiterkirche Wiens" zu
bauen. Verborgen und bescheiden, ohne sich abzuheben zwischen Häusern mit kleinen
Wohnungen, gleicht das Gotteshaus dem Wirken dessen, der es errichtet und vierzig Jahre
lang mit Leben erfüllt hat.
Am "Arbeiterapostel" Wiens schieden sich aber auch die Geister. Vielen
ging sein Einsatz zu weit. Andere schlugen ihn für höchste Auszeichnungen vor. Pater
Schwartz blieb sich treu und scheute nicht davor zurück, auch mutige Schritte zu wagen.
Mit seinen Forderungen nach Ausbildungsplätzen für Jugendliche und nach einem
arbeitsfreien Sonntag ist er bis in den Reichstag vorgedrungen.
Er hinterläßt uns eine Botschaft: Unternehmt alles, was Euch möglich ist, um den
Sonntag zu schützen! Zeigt, daß dieser Tag zu Recht arbeitsfrei bleiben muß, weil er
als Tag des Herrn gefeiert wird! Helft vor allem den Jugendlichen, denen das Recht
auf Arbeit vorenthalten wird! Wer dafür sorgt, daß die Jugend von heute Brot hat,
der trägt dazu bei, daß die Erwachsenen von morgen ihren Kindern Sinn vermitteln
können. Ich weiß, daß es dafür keine einfachen Lösungen gibt. Deshalb wiederhole ich
ein Wort, unter das der selige Pater Schwartz seine vielfältigen Bemühungen gestellt
hat: "Wir müssen mehr beten".
7. Schwester Restituta Kafka war noch nicht volljährig, als sie den Wunsch
äußerte, ins Kloster zu gehen. Die Eltern sind dagegen. Aber die junge Frau hält
unbeirrt an ihrem Ziel fest, "aus Liebe zu Gott und den Menschen" Schwester
zu werden. Besonders in den Armen und Kranken möchte sie Christus dienen. Bei den
"Franziskanerinnen der christlichen Liebe" findet sie den Weg, ihre Berufung im
nüchternen, oft harten Spitalsalltag zu leben. Mit Leib und Seele Krankenschwester, wird
sie in Mödling bald zur Institution. Ihre fachliche Kompetenz, ihre Durchsetzungskraft
und ihre Herzlichkeit tragen dazu bei, daß sie von vielen nicht mehr Schwester Restituta,
sondern Schwester Resoluta genannt wird.
Ihr Mut und ihre Unerschrockenheit lassen sie auch vor der nationalsozialistischen
Herrschaft nicht schweigen. Schwester Restituta setzt sich über das Verbot der
politischen Führung hinweg und läßt in allen Krankenzimmern Kreuze anbringen. Am
Aschermittwoch 1942 wird sie von der Gestapo abgeholt. Im Gefängnis beginnt für sie eine
mehr als einjährige "Fastenzeit", die am 30. März 1943 auf dem Schafott endet.
Als letzte Worte sind uns überliefert: "Für Christus habe ich gelebt, für
Christus will ich sterben".
An der seligen Schwester Restituta können wir ablesen, zu welchen Höhen innerer Reife
ein Mensch an der Hand Gottes geführt werden kann. Für das Bekenntnis zum Kreuz
hat sie ihren Kopf hingehalten. Sie hat es im Herzen bewahrt und vor der Hinrichtung noch
einmal leise ausgesprochen, als sie den Gefängnispfarrer um ein "Kreuzerl auf die
Stirne" bat.
Man kann uns Christen vieles nehmen. Aber das Kreuz als Zeichen des Heils lassen wir uns
nicht nehmen. Lassen wir nicht zu, daß man es aus der Öffentlichkeit entfernt! Hören
wir auf die Stimme des Gewissens, die uns sagt: "Man muß Gott mehr gehorchen als
den Menschen!" (Apg 5, 29).
8. Liebe Schwestern und Brüder! Die heutige Feier bekommt eine europäische Note. Neben
dem verehrten Herrn Bundespräsidenten der Republik Österreich, Herrn Thomas Klestil,
geben uns auch Vertreter des politischen Lebens aus dem In- und Ausland die Ehre ihrer
Anwesenheit. Ich grüße sie herzlich und mit ihnen die Völker, die Sie vertreten.
In der Freude, daß uns heute drei neue Selige geschenkt wurden, wende ich mich an alle
Schwestern und Brüder des Volkes Gottes, die hier versammelt sind oder sich über Radio
und Fernsehen mit uns verbunden haben. Ich grüße den Oberhirten der Erzdiözese Wien,
Herrn Kardinal Christoph Schönborn, und den Vorsitzenden der Österreichischen
Bischofskonferenz, Herrn Bischof Johann Weber, sowie alle Brüder im Bischofsamt, die aus
nah und fern zum Heldenplatz gekommen sind. Nicht vergessen möchte ich die vielen
Priester und Diakone, die Ordensleute und die pastoralen Mitarbeiter der Pfarren und
Gemeinschaften.
Liebe Jugendliche! Einen besonderen Gruß schulde ich heute Euch. Ich freue mich, daß Ihr
in so großer Zahl anwesend seid. Wieviele von Euch sind von weither gekommen! Ich meine
das nicht nur geographisch ... Aber Ihr seid da: das Geschenk der Jugend, auf die das
Leben wartet!
Die drei Helden der Kirche, die wir gerade in das Buch der Seligen eingeschrieben haben,
können Euch eine Lebenshilfe sein: der junge Jakob Kern, der gerade in seiner Krankheit
das Vertrauen der Jugend gewann; Pater Anton Maria Schwartz, der es verstand, die Herzen
der Lehrlinge zu erreichen; Schwester Restituta Kafka, die den Mut aufbrachte, für ihre
eigene Meinung einzustehen.
Sie waren keine "fotokopierten Christen", sondern jeder für sich ein
Original, unauswechselbar und einzigartig. Sie haben angefangen wie Ihr: als junge
Menschen, voller Ideale und auf der Suche nach einem Sinn, für den es sich zu leben
lohnt.
Noch etwas macht die drei neuen Seligen so anziehend: Ihre Lebensgeschichten zeigen uns,
wie sie als Persönlichkeiten nach und nach gereift sind. Auch Euer Leben ist noch
keine reife Frucht. Deshalb kommt es darauf an, daß Ihr das Leben pflegt, damit es
zur Blüte und Reife kommen kann. Nährt es mit dem Saft des Evangeliums! Haltet es
Christus hin, der Sonne des Heiles! Pflanzt das Kreuz in Eurer Leben ein - das Kreuz
als wahren Baum des Lebens!
9. Liebe Schwestern und Brüder! "Ihr aber, für wen haltet ihr mich?"
Wir werden in wenigen Augenblicken das Glaubensbekenntnis beten. In diesem Bekenntnis, mit
dem wir uns in die Gemeinschaft der Apostel und der Überlieferung der Kirche sowie in die
Schar der Heiligen und Seligen stellen, soll auch unsere persönliche Antwort vorkommen. Die
Überzeugungskraft der Botschaft ist auch an die Glaubwürdigkeit ihrer Botschafter
gebunden. Deshalb fängt die Neuevangelisierung bei uns selber an, bei unserem
Lebensstil.
Die Kirche von heute braucht keine Teilzeitkatholiken, sondern Vollblutchristen!
Die drei neuen Seligen waren es. An ihnen können wir Maß nehmen.
Danke, seliger Jakob Kern, für Deine priesterliche Treue!
Danke, seliger Pater Anton Maria Schwartz, für Deine Begleitung der Arbeiter!
Danke, selige Schwester Restituta Kafka, für Dein Schwimmen gegen den Strom der
Zeit!
Ihr Heiligen und Seligen Gottes, bittet für uns. Amen.
Worte am Schluß
des Gottesdienstes
Liebe Schwestern und Brüder!
Am Ende dieser erhebenden Feier wenden sich unsere Gedanken Maria zu, der Magna Mater
Austriae. Seit Jahrhunderten bis heute stellt sich das österreichische Volk unter
ihren Schutz und Schirm. Auch die drei neuen Seligen haben sich selbst und ihre Anliegen
ihrer mütterlichen Fürbitte anvertraut. Sie haben das Jawort, das Maria auf die
Botschaft des Engels gab, für ihre eigene Sendung nachgesprochen:
Der selige Pater Anton Maria Schwartz hat "ja" gesagt zu den täglichen
Herausforderungen, die er durch die Seelsorge an den Arbeitern kennenlernte.
Der selige Priester Jakob Kern hat "ja" gesagt zu Krankheit und Leid, die
ihm in jungen Jahren auferlegt wurden.
Die selige Schwester Restituta Kafka hat "ja" gesagt zum Kreuz, das für
sie nicht nur ein Schmuckstück war, sondern zur Lebensform wurde.
Die drei neuen Seligen mögen Euch allen Vorbild und Ansporn sein, "ja"
zu sagen zu dem Weg, den Gott mit Euch gehen will.
Dankesworte der Jugendlichen
Bei der Eucharistiefeier am Heldenplatz
Am 21. Juni 1998 vor dem Angelus
Heiliger Vater, wir freuen uns sehr, daß Sie zu uns nach Wien gekommen
sind. Aus ganzem Herzen danken wir Ihnen dafür. In besonderer Weise danken wir Ihnen,
daß Sie drei Österreicher seliggesprochen und uns zum Vorbild gegeben haben.
Wir jungen Menschen werden heute von vielen Dingen vom Wesentlichen abgelenkt und vieles
stellt sich unserem Idealismus entgegen.
Heiliger Vater, wir sind bereit, uns dem Reichtum des Evangeliums zu öffnen und durch
unser Leben Zeugen Christi zu sein.
Mit Freude denken wir an das letzte Weltjugendtreffen im Paris zurück. Auch beim
Weltjugendtreffen haben Sie, wie schon so oft zuvor, die jungen Menschen darin ermutigt
und gestärkt voll Hoffnung den Weg des Glaubens zu gehen.
An der Schwelle zum 3. Jahrtausend bitten wir Sie um Ihr besonderes Gebet und Ihren
väterlichen Segen für uns junge Menschen.
Ansprache
des Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Johann Weber
Zur Begegnung Papst Johannes Paul II. mit den österreichischen Bischöfen
21. Juni 1998
Heiliger Vater,
tief bewegt und dankbar für das Glaubenszeugnis, das Sie der Kirche und allen Menschen
unseres Landes geschenkt haben, dürfen wir Ihnen am Ende Ihres dritten Pastoralbesuches
in Österreich als Gemeinschaft der Bischöfe begegnen.
Wir blicken dabei nicht allein auf die drei Tage der geistlichen Herausforderung und
Ermutigung, die wir gerade erlebt haben, sondern auf das Geschenk Ihres ganzen, zur
Nachfolge Christi einladenden Petrusamtes.
Wir sind dankbar für Ihren von Herzen kommenden und zu Herzen gehenden Ruf an junge
Menschen, ihrer Berufung nachzuspüren und sie mit Freude anzunehmen zum Priester,
in den Ordensstand, zur Ehe und in die vielfältigen Dienste am Nächsten. In einer Zeit
der Beliebigkeit und Unverbindlichkeit eröffnen Sie uns die Vision einer Kultur der
liebenden Hingabe und Treue.
Wir sind dankbar für die große Perspektive eines neuen, im Geist des Evangeliums
gestalteten Europa. Sie widerspricht und widersteht dem Leid, den Schrecken, Spaltungen
und dem Materialismus gerade unseres Jahrhunderts, weist uns den Weg in eine ganz neue
Nachbarschaften und wird uns hoffentlich davor bewahren, ökonomische oder mentale
Barrieren anstelle der alten aufzubauen.
Wir sind bewegt von Ihrem unermüdlichen Gebet und Einsatz für den Frieden auf der ganzen
Erde und dankbar für die vielen ökumenischen, interreligiösen und politischen Dialoge,
die von Ihnen inspiriert, gefördert und in den Krisengebieten dieser Erde mit dem Risiko
des Lebens geführt wurden. Ihre lebendige Verkörperung der Kultur des Friedens Christi
wird weit in das kommende Jahrtausend hineinleuchten!
Wir sind bewegt und herausgefordert durch die vom Stellvertreter Christi immer wieder
eingemahnte Option für die Armen und das ungeschützte menschliche Leben. Sie wird gerade
in unserer Wohlstandsgesellschaft, die zu leicht das Schicksal von Arbeitslosen,
Flüchtlingen, Behinderten und einsamen Menschen verdrängt, und der Verantwortung für
den Beginn und das Ende menschlichen Lebens ausweicht, ein unabweisbares Kriterium des
Einsatzes der katholischen Kirche bleiben. Ihr anschließender Besuch im Hospiz der
Caritas Socialis, Heiliger Vater, wird ein lebendiges Zeichen für die von Ihnen erhoffte
Kultur des Lebens sein.
Sie haben heute im Gottesdienst am Heldenplatz Schwester Restituta Kafka, Jakob Kern und
Pater Anton Schwartz selig gesprochen und damit uns und der ganzen Kirche drei einfache,
von Gott erfüllte Menschen bezeichnet, deren Gestalten uns auf unserem Weg zu Gott
voranleuchten werden. Das gilt besonders auch für uns Bischöfe: die Liebe und Treue zu
Christus, der Mut zum Glaubenszeugnis, der Dienst zur Fülle und Heiligung des Lebens
aller.
Ihnen, Heiliger Vater, ist in besonderer Weise dafür Dank zu sagen, daß Sie durch Ihren
Besuch die Gemeinschaft der österreichischen Bischöfe in diesem tiefsten Sinne Christi
bestärkt haben, gerade nach einer Phase massiver innerkirchlicher Auseinandersetzungen
und Probleme. Aus der Begegnung und Gemeinschaft mit Ihnen erwächst für den laufenden
"Dialog für Österreich" spirituelle Weite und menschliche Tiefe.
So sage im Namen der österreichischen Bischöfe und aller katholischer Gläubigen Dank
mit zwei volkstümlichen Redeweisen. Wenn einer besonders oder unverhofft zu Hilfe kommt,
sagen wir; "Er ist ein Segen!" Ja, Sie sind ein Segen für uns und Ihr dritter
Pastoralbesuch war ein Segen, in dem tiefen religiösen Sinn, der in der christlichen
Tradition unseres Landes verankert. ist. Aus dieser Tradition kommt auch das herzliche
"Vergelt´s Gott", das ich Ihnen aussprechen darf.
An die
verehrten Brüder im Bischofsamt,
denen die Seelsorge in Österreich anvertraut ist
Meine lieben bischöflichen Mitbrüder!
1. Ich bin dankbar, daß uns diese Begegnung als Möglichkeit geschenkt wird, um im
kleinen Kreis über die Verantwortung nachzudenken, die wir als Nachfolger der Apostel auf
unseren Schultern tragen. Von Herzen grüße ich Euch alle als Gemeinschaft und jeden
einzelnen. Ich mache mir die Worte des heiligen Petrus zu eigen: "Gottes Macht
behütet Euch durch den Glauben [...]. Deshalb seid ihr voll Freude, obwohl Ihr jetzt
vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müßt" (1 Petr 1,
5-6).
2. Ihr seid unter vielerlei Hinsicht geprüft worden. Selbst wenn dies nicht der
Augenblick ist, um eine allgemeine Wertung vorzunehmen, möchte ich Euch dennoch
versichern, daß ich Euch in dieser ganzen Zeitspanne mein besonderes Gebetsgedenken
geschenkt habe. Als Wegbegleiter in bedrängter Zeit hat mein Herz in Rom unablässig für
Euch geschlagen, denen die Hirtensorge in diesem geschätzten Land übertragen ist. Wenn
ich vor dem Allerheiligsten innehielt, habe ich Euch oft vor den Herrn getragen und dabei
die Priester, Diakone und Mitarbeiter in der Seelsorge sowie die Euch anvertrauten Männer
und Frauen, Alt und Jung, Glaubende, Zweifelnde und Verunsicherte eingeschlossen. Diese
ständige Nähe im Geist kann ich nun durch meine Anwesenheit bei Euch auch sichtbar unter
Beweis stellen. So sollt Ihr noch mehr spüren, mit welcher Anteilnahme ich Euch zur Seite
stehe. Ja, ich verstehe mich als "Helfer zu Eurer Freude" (2 Kor 1, 24).
Auf unserem persönlichen Weg ebenso wie auf den Straßen, die sich die Kirche durch die
Geschichte bahnt, gibt es Strecken, auf denen es schwer fällt, von der Freude zu künden.
Es gibt Momente, in denen sich durch das Gestrüpp dorniger Probleme die Ausübung unseres
Amtes auch deshalb als besonders schwierig erweist, da es Mißverständnissen und falschen
Deutungen ausgesetzt ist. Wie bedrückend Erfahrungen solcher Art auch empfunden werden,
so stehen wir doch unter dem gemeinsamen Auftrag, "Freudenboten" (Röm
10, 15) zu sein für Kirche und Welt, mithin für alle, die sich Großes erwarten vom
anbrechenden dritten Jahrtausend. In Zeiten, in denen die Würde des Bischofsamtes in
erster Linie als Bürde auf unseren Schultern lastet, empfiehlt es sich, das Herz und die
Gedanken in dankbarer Erinnerung an den Anfang zurückwandern zu lassen, um dadurch die
Gnade wieder zu entfachen, die uns durch die Handauflegung zuteil geworden ist. Denn Gott
hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe
und der Besonnenheit (vgl. 2 Tim 1, 6-7).
3. Wenn wir an den Tag zurückdenken, an dem wir durch die Handauflegung zunächst in den
priesterlichen und dann in den bischöflichen Dienst eingeweiht wurden, dann wird in uns
das beredte Zwiegespräch lebendig, in dem wir vor dem Empfang der Weihe dem Bischof
gegenüber unser Adsum gesprochen haben: Hier bin ich. Ich bin bereit. In
diesem Zwiegespräch hatten nicht wir selbst das erste Wort. Unser Part lag in der
hochherzigen Antwort: Ich bin bereit, mich in den Dienst Gottes zu stellen mit meinen
Anlagen und Fähigkeiten, mit meinen Hoffnungen und meinem Bemühen, mit meinem Licht und
meinem Schatten. Alles haben wir mitgebracht, als wir freudig Adsum sagten.
Dieses Wort der Bereitschaft, das jeder unverwechselbar in seinem eigenen Namen
öffentlich ausgesprochen hat, bekam für mich noch eine besondere Bedeutung, als ich es
als junger Bischof auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gemeinsam mit den anderen
Mitgliedern der ökumenischen Versammlung wiederholt habe: Adsumus, Domine, Sancte
Spiritus! Hier sind wir, Herr, Heiliger Geist! So haben wir alle Sitzungen des Konzils
begonnen. In diesem Gebet habe ich erfahren und begriffen, daß das persönliche Adsum
in das Adsumus der Gemeinschaft eingebettet ist. Wie Jesus Christus selbst seine
Apostel persönlich beim Namen gerufen und sie zugleich als "die Zwölf"
eingesetzt hat (vgl. Mk 3, 13-19), so bilden bis heute die Berufung des Herrn und
die hochherzige Antwort des einzelnen die Grundlage für unsere persönliche Hingabe und
für die Bildung einer unverbrüchlichen Gemeinschaft, die durch Handauflegung und Gebet
besiegelt wird. Der Ruf des Herrn und die Sendung zum gemeinsamen Werk stiften
Gemeinschaft. Denn von den Ursprüngen der Kirche an ist der Hirtendienst nicht nur
einzelnen individuell aufgetragen, sondern jedem von ihnen als Teil einer Gemeinschaft,
die Kollegium heißt. Mit Recht können wir deshalb sprechen: Adsumus. Wir sind
bereit. Ein Bischof allein verwirklicht den Plan Christi nicht. Die
Bischöfe in Einheit untereinander mit Christus in ihrer Mitte bilden das volle Subjekt
des Hirtendienstes in der Kirche, wie es dem Plan ihres Stifters entspricht.
4. Bei der gegenseitigen Verwiesenheit, in der Adsum und Adsumus
zueinander stehen, ist es geboten, diese enge Verbindung noch etwas näher auszuleuchten,
um ihre Bedeutung für unsere Tage zu erhellen. Wie jede Gemeinschaft Raum gewähren muß
für die Entfaltung des einzelnen, so hat innerhalb des Adsumus auch das
unverwechselbare Adsum sein Recht und seinen Platz. Denn bei aller Gemeinsamkeit
bedarf es der Ehrfurcht vor der je eigenen Berufung und Sendung. Im Raum des Gemeinsamen
soll der einzelne Bischof sich selbst entfalten und die eigene seelsorgerliche
Verantwortung wahrnehmen können. Abgesehen von den Unterschieden an Fähigkeiten und
Charakteren, die sie in ihr bischöfliches Wirken einbringen, haben die einzelnen
Bischöfe ja eine ihnen eigene Vollmacht inne und heißen daher mit Recht Vorsteher des
Volkes, das sie leiten (vgl. Lumen gentium, 27). Diese Vollmacht, die sie im Namen
Christi persönlich ausüben, ist jedoch nicht auf das Herrschen ausgerichtet, sondern
nimmt Maß am Beispiel des guten Hirten, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen,
sondern zu dienen (vgl. Mt 20, 28). Jedem Bischof ist deshalb das Wort des heiligen
Petrus gesagt: "Seid nicht Beherrscher Eurer Gemeinden, sondern Vorbilder für die
Herde!" (1 Petr 5, 3).
Wenn das Adsumus gebührend Raum für das Adsum des einzelnen läßt, muß
es gleichzeitig geprägt sein vom Bemühen aller um Einheit. Andernfalls zerfällt das
einzige Lehramt Jesu Christi in ein Vielerlei einzelner Stimmen. Anstelle eines
symphonischen Zusammenklangs entsteht ungeordneter Lärm. Das ist denen nicht angemessen,
die gemeinsam in der langen Reihe apostolischer Sukzession stehen, deren Anfang im Herrn
der Kirche selbst liegt. Das innige Band des einzelnen mit Christus bedeutet Verpflichtung
aller füreinander. Deshalb gehört es zum bischöflichen Wirken, einander Beistand zu
leisten, Beistand im pastoralen Dienst, Beistand im brüderlichen Austausch, Beistand im
öffentlichen Leben und nicht zuletzt Beistand im Gebet füreinander. Denn es tut jedem
gut zu wissen, daß er nicht allein steht. Eine wertvolle Hilfe ist dabei das Organ der
Bischofskonferenz, die nach dem Wunsch des Zweiten Vatikanischen Konzils durch den
Austausch von Kenntnissen und Erfahrungen und durch gegenseitige Beratung unter den
Bischöfen "ein heiliges Zusammenwirken der Kräfte zum gemeinsamen Wohl der
Kirchen" fördern soll (Christus Dominus, 37). Als Hirten der Euch
anvertrauten Herden steht Ihr ja gemeinsam vor Gott, aneinander gebunden in der
bischöflichen Gemeinschaft, in die jeder sich selbst unverwechselbar einbringt. Ein
schönes Zeichen, daß Ihr in Eurer jeweiligen Diözese das in Österreich pilgernde
Gottesvolk gemeinsam begleitet, könntet Ihr dadurch setzen, daß Ihr Euch miteinander als
Bischofskonferenz für einige Tage zurückzieht und auf den Weg geistlicher Exerzitien
begebt.
5. Das Adsumus auf dem Konzil war nicht nur Gebet, sondern gleichzeitig Programm.
Wie sich die Bischöfe zu ihren Beratungen als Gebetsgemeinschaft versammelten, so
stellten sie sich auch als Dialoggemeinschaft unter den Schutz und Beistand des Heiligen
Geistes. So ist es nicht verwunderlich, daß die Beziehung des dreifaltigen Gottes zum
Menschen wiederholt als dialogisches Geschehen umschrieben wurde (vgl. Gaudium et spes,
19; Dei Verbum, 8. 21. 25). Im Licht des Heilsgeheimnisses vollzieht sich dann die
Sendung der Kirche als dialogische Vermittlung. In Christus, dem einzigen Mittler zwischen
Gott und Mensch, findet die Kirche, sein mystischer Leib, ihren Platz als umfassendes
Heilssakrament für die Welt (vgl. Lumen gentium, 1. 9. 48. 59; Gaudium et spes,
42. 45; Ad gentes, 15; Sacrosanctum Concilium, 5. 26).
So ist es der Kirche aufgetragen, sowohl nach innen als auch nach außen einen
"Dialog des Heiles" zu pflegen, damit alle in ihr "den unergründlichen
Reichtum Christi" (Eph 3, 8) finden können. Für diesen Dialog habe ich mich
von Anfang meines Pontifikates an eingesetzt und versucht, während meiner bald
zwanzigjährigen Amtszeit zu seinem Gelingen beizutragen (vgl. Enzyklika Redemptor
hominis, 4). Dabei möchte ich an meinen Vorgänger seligen Angedenkens Papst Paul VI.
erinnern, der seine erste Enzyklika Ecclesiam suam dem Thema des aufrichtigen
Dialogs gewidmet und im Verlauf seines Pontifikats kompetente und wirkungsvolle
Dialogorgane eingeführt hat. Ich war in diesen Jahren bestrebt, mich der bestehenden
Einrichtungen zu bedienen, um das Gespräch besonders auf den Gebieten anzustoßen, auf
denen es etwas ins Stocken geraten war (vgl. zuletzt Enzyklika Ut unum sint,
28-39).
Mit Anerkennung und Dankbarkeit blicke ich auch auf die zahlreichen Strukturen, die dem
Dialog der Kirche nach innen und nach außen auf vielen Feldern eine Form geben und ihn so
fruchtbar werden lassen. Auch Ihr habt Euch, liebe Brüder, auf der Ebene Eurer
Bischofskonferenz zu einer Initiative entschlossen, die den Dialog anregen und vertiefen
soll. Im Dialog für Österreich wollt Ihr die Ortskirchen, denen Ihr vorsteht, die
Orden, die geistlichen Gemeinschaften, Bewegungen und Gruppen miteinander ins Gespräch
bringen. Zu diesem Zweck habt Ihr den Kreis der möglichen Dialogteilnehmer sehr weit
gezogen und Euch an Pfarrgemeinderäte und apostolische Gruppen, an öffentliche
Körperschaften und Verbände, an Einzelpersonen und Gemeinschaften gewandt (vgl. Grundtext
zum "Dialog für Österreich", S. 3).
6. Mit dieser Initiative zum Dialog, aus dem Ihr niemand ausschließen wollt, beabsichtigt
Ihr, nicht nur eine heute allgemein gepflegte Umgangsform oder eine neutrale Methode zu
fördern, um das Zusammentreffen verschiedener Menschen zu erleichtern. Die Palette der
Gesprächsformen ist breit. Sie kennt freundschaftlichen Gedankenaustausch, sachliche
Erörterung, wissenschaftliche Diskussion oder Prozesse gesellschaftlicher Konsensbildung.
Auch wenn das Wort Dialog in den letzten Jahrzehnten unter mancherlei Mißverständnis und
Entstellung zu leiden hatte, darf man es dennoch nicht von seinem Mißbrauch her
bestimmen. Der Dialog, den die Kirche führt und zu dem sie einlädt, ist niemals nur eine
harmlose Form des Sich-Öffnens auf die Welt hin oder gar eine Spielart oberflächlicher
Anpassung. Vielmehr wird damit ein Sprechen und Handeln beschrieben, das vom Tun Gottes
gehalten und vom Glauben der Kirche geprägt ist. In diesem Sinn soll der Dialog für
Österreich ein "Dialog des Heiles" werden, der dann zu flach geriete,
würde er sich mit einem ausschließlich horizontalen Verlauf begnügen und auf den
Austausch von Standpunkten im Sinne eines anregenden Miteinanderredens beschränken.
Vielmehr wird er eine vertikale Dimension anstreben, die ihn auf den Erlöser der Welt und
Herrn der Geschichte hinlenkt, der uns mit Gott und untereinander versöhnt (vgl.
Enzyklika Ut unum sint, 35).
7. Ein solcher Dialog ist für alle Beteiligten eine Herausforderung, wirlich eine Art
geistliches Experiment. Es geht darum, auf den anderen zu hören und sich im persönlichen
Zeugnis selbst zu öffnen, aber auch im Wagnis zu lernen, den Ausgang des Dialogs Gott zu
überlassen. Im Unterschied zu einem Gespräch lockerer Fügung zielt der Dialog auf das
gemeinsame Finden und Anerkennen der Wahrheit. Wie oft habt Ihr als Hirten versucht und
seid bis heute dabei, die Euch anvertrauten Priester und Laien mit Hilfe des geduldigen
Gesprächs in Liebe zur Wahrheit zu führen. Ihr wißt aus Erfahrung, daß ein geglückter
Dialog einem zuvor bestehenden offenen Problem oder einer Streitfrage ein Ende zu setzen
vermag. Zugleich kennt Ihr aber auch die mitunter schmerzliche Kehrseite Eurer
Bemühungen: Statt Wahrheitsfindung und Verständigung kommt das Gespräch nicht über
einen substanzlosen Diskurs hinaus, der letztlich an der Wahrheit uninteressiert ist.
Eine solche Konzeption entspricht dem Dialog des Heiles nicht. Dieser steht für alle
Beteiligten immer unter dem Wort Gottes. Deshalb setzt er ein Minimum an vorgängiger
Kommunikationsgemeinschaft und fundamentaler Gemeinsamkeit voraus. Es ist der lebendig
überlieferte Glaube der Gesamtkirche, der für alle Partner die Grundlage des Dialogs
bildet. Wer diese gemeinsame Basis preisgibt, nimmt jedem Gespräch in der Kirche die
Voraussetzung, zum Dialog des Heiles zu werden. Darum wird es immer wieder darauf
ankommen, in Erfahrung zu bringen, ob ein bestimmter Dissens möglicherweise auf
grundlegende Differenzen zurückzuführen ist. Ist dies der Fall, müssen solche
Differenzen im Vorfeld gelöst werden. Ansonsten droht der Dialog entweder in
Unverbindlichkeit zu verflachen oder sich in marginalen Spitzfindigkeiten zu
verflüchtigen. Jedenfalls kann keiner in ehrlicher Weise eine Rolle in einem dialogischen
Prozeß übernehmen, wenn er nicht bereit ist, sich der Wahrheit auszusetzen und immer
mehr in sie hineinzuwachsen.
Öffnung gegenüber der Wahrheit bedeutet Bereitschaft zur Umkehr. Darum wird der Dialog
nur dann zur Wahrheit führen, wenn er über den erforderlichen Sachverstand hinaus von
Aufrichtigkeit und Freimut, von Aufnahmebereitschaft im Hören der Wahrheit und vom Willen
zur Selbstkorrektur gehalten wird. Ohne Bereitschaft, sich zur Wahrheit bekehren zu
lassen, verkümmert jeder Dialog. Ein fauler Kompromiß wäre ein Hohn auf ihn. Deshalb
muß gewährleistet sein, daß die Zustimmung der Redenden nicht bloß vorgetäuscht oder
erschlichen ist, sondern aus deren Herzen kommt. In diesem Zusammenhang trifft Euch
Bischöfe die Aufgabe der Unterscheidung, wodurch Ihr zu "Mitarbeitern für die
Wahrheit" werdet (3 Joh 8).
8. Der Dialog des Heiles ist ein spirituelles Unternehmen: Er vertieft die Einsicht in den
Reichtum der kirchlichen Gemeinschaft und die Geheimnishaftigkeit des Glaubens. So
eröffnet er denen, die sich ehrlich darauf einlassen, einen fruchtbaren Raum der
Kommunikation in der einen Wahrheit. Die Beteiligten erfahren ihn als geistlichen
"Austausch von Gaben und Geschenken" (Lumen gentium, 13). Wird der Dialog
nach innen überzeugend geführt, bleibt auch seine Wirkung nach außen nicht aus. So ist
der Dialog ein pastorales Mittel und dient der Evangelisierung. Denn einem Dialog mit
Profil wird es an Strahlkraft nicht mangeln. Selbstverständlich wird er in Ehrlichkeit zu
führen sein. Bei aller Offenheit soll das kirchliche Bekenntnis dabei seine
Entschiedenheit bewahren. Dialogpartner mit klaren Konturen haben eine hohe Chance, sich
verständlich zu machen und dafür auf ehrlichen Respekt zu stoßen, selbst wenn der
Dialog in der Sache streckenweise hart und mühsam sein mag und sich das Gegenüber
wenigstens zum gegebenen Zeitpunkt nicht in der Lage sieht, den angebotenen Standpunkt
anzunehmen.
9. Wenn ich zum Dialog ermutige, steht außer Zweifel, daß ich damit nicht einfach meine,
wir sollten noch mehr reden. Es wird ja in unserer Zeit sehr viel gesprochen, und doch
verbessert dies die gegenseitige Verständigung oft nicht. Leider gibt es auch das
Scheitern des Dialogs. Deshalb möchte ich auf zwei Gefährdungen besonders hinweisen, die
Euch sicher nicht unbekannt sind.
Die erste Gefahr liegt im Machtanspruch. Er entsteht dort, wo sich Gesprächspartner nicht
mehr vom Verstehenwollen leiten lassen, sondern den Raum des Dialogs einzig und allein
für sich beanspruchen. Prägt sich diese Linie ein, findet bald kein offener Austausch
mehr statt. Die bereichernde Andersheit wird zum kämpferischen Gegensatz, der die Bühne
der eigenen monologischen Selbstdarstellung sucht. Zwischen die Gesprächspartner tritt
eine kalte Mauer, die in sich geschlossene Welten voneinander trennt. In das redliche
gemeinsame Ringen um die Wahrheit mischen sich Ansprüche, Drohungen und Diktate. Dies
widerspricht dem Sinn des Heilsdialogs, der im Glaubenden die Bereitschaft beansprucht,
jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die ihn erfüllt. Dabei
soll er sich an die Weisung des Apostels Petrus erinnern, der darauf hingewiesen hat,
bescheiden und ehrfürchtig zu bleiben (vgl. 1 Petr 3, 15f.).
Eine weitere Gefahr liegt in dem Umstand, daß am laufenden Dialog die öffentliche
Meinung beteiligt ist. Die Kirche unserer Zeit möchte immer mehr eine "gläserne
Kirche" sein, transparent und glaubwürdig. Das ist nur zu begrüßen. Wie aber jedes
Haus besondere Räume kennt, die nicht allen Gästen von Anfang an zugänglich sind, so
darf und soll es auch im häuslichen Dialog der Kirche Räume zu Gesprächen hinter
verschlossenen Türen geben, was nichts mit Geheimhaltung, sondern mit gegenseitigem
Respekt zum Nutzen der Sache zu tun hat, die untersucht wird. Das Gelingen des Dialogs ist
nämlich gefährdet, wenn er sich vor einer unzureichend qualifizierten oder zu wenig
vorbereiteten Öffentlichkeit und unter nicht immer unparteiischem Einsatz der
Massenmedien abspielt. Eine voreilige oder unangemessene Befassung der Öffentlichkeit
kann einen an sich hoffnungsvollen Dialogprozeß empfindlich stören.
Angesichts dieser Gefährdungen wird es Euch ein Anliegen sein, mit Einfühlsamkeit und
Ehrfurcht Eure Dialoge des Heiles fortzuführen. Die Kirche in Österreich soll immer mehr
"Zeichen jener Brüderlichkeit [sein], die einen aufrichtigen Dialog ermöglicht und
gedeihen läßt. Das aber verlangt von uns, daß wir vor allem in der Kirche selbst, bei
Anerkennung aller rechtmäßigen Verschiedenheit, gegenseitige Hochachtung, Ehrfurcht und
Eintracht pflegen, um ein immer fruchtbareres Gespräch zwischen allen in Gang zu bringen,
die das eine Volk Gottes bilden, Geistliche und Laien. Stärker ist, was die Gläubigen
eint als was sie trennt. Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem
die Liebe" (Gaudium et spes, 92).
Liebe Brüder im Bischofsamt!
10. Nachdem ich Euch heute ein wenig mein Herz geöffnet und Euch meine Anliegen und
Sorgen im Hinblick auf die Kirche in Eurem geschätzten Land mitgeteilt habe, schließe
ich mit dem Aufruf: Gebt dem Heiligen Geist in Euch Raum! Ahmen wir Maria nach, deren
ganzes Leben ein Dialog des Heiles war. Im Heiligen Geist hat sie das Wort empfangen,
damit es Fleisch werden konnte. Lernen wir von ihr, die still und schweigend bis zum
Äußersten unter dem Kreuz stand, als Er Seinen Geist für uns Menschen dahingab. Schauen
wir auf sie, die unter den Aposteln betend zugegen war, als diese auf die junge Kirche den
Heiligen Geist herabbeteten. Die Jungfrau Maria ist nicht nur unsere Fürsprecherin,
sondern Modell für ein Leben im Heiligen Geist. Von ihr können wir lernen, was
Mitwirkung am Heil der Welt bedeutet. So werden wir zu Helfern für die Freude und zu
Mitarbeitern der Wahrheit. Wie Maria sich als "Magd des Herrn" (Lk 1, 38)
verstand, so sollen auch wir uns stets bewußt bleiben, daß wir bescheidene "Diener
Christi" und treue "Verwalter von Geheimnissen Gottes" sind (1 Kor
4, 1).
Ich lege Euch die Bitte ans Herz: Gebt den Dialog nicht auf! Auch in Zukunft werde ich
Euch im Gebet nahe sein: Laß alle eins sein, damit Österreich glaube! Mit diesem
Wunsch erteile ich Euch von Herzen den Apostolischen Segen.
Botschaft
des Papstes an die geliebten Schwestern und Brüder
im Caritas Socialis Hospiz Rennweg
und an alle, die in der Welt der Krankheit und des Leidens
leben und arbeiten
1. Im Namen unseres Herrn Jesus Christus, der "unsere Krankheiten getragen und unsere
Schmerzen auf sich geladen hat" (Jes 53, 4), grüße ich Euch mit tiefer
Zuneigung. Meinem Pastoralbesuch in Österreich würde etwas Wesentliches fehlen, wäre
mir nicht die Gelegenheit zur Begegnung mit Euch Kranken und Leidenden geschenkt. Ich
wende mich mit dieser Botschaft an Euch und nütze zugleich die Gelegenheit, um allen, die
in den Krankenhäusern, Kliniken, Altenheimen und Hospizen hauptberuflich oder
ehrenamtlich tätig sind, meine tiefe Anerkennung für ihren aufopferungsvollen Dienst
auszudrücken. Meine Anwesenheit und mein Wort sollen sie in ihrem Einsatz und ihrem
Zeugnis stützen. An einem Tag wie heute, an dem ich meine Schritte in das Caritas
Socialis Hospiz setzen darf, ist es mir ein Anliegen darzulegen, daß die Begegnung
mit dem menschlichen Leid eine Frohe Botschaft in sich birgt. Denn das "Evangelium
vom Leiden" (Apostolisches Schreiben Salvifici doloris, 25) ist nicht nur in
den Heiligen Schriften aufgezeichnet, sondern wird an einem Ort wie diesem täglich neu
geschrieben.
2. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Schmerz, Leid, Krankheit und Tod gern aus dem
persönlichen und öffentlichen Bewußtsein verdrängt werden. Gleichzeitig jedoch wird
das Thema in der Presse, im Fernsehen und auf Tagungen vermehrt aufgegriffen. Die
Verdrängung des Sterbens zeigt sich auch darin, daß viele Patienten in Krankenhäusern
oder anderen Institutionen außerhalb ihres gewohnten Lebensbereiches sterben.
In Wirklichkeit aber wünschen sich aber die meisten Menschen, ihre Augen auf dieser Erde
in ihrer häuslichen Umgebung zu schließen, umsorgt von vertrauten Angehörigen und
treuen Freunden. Die Familien fühlen sich jedoch oft seelisch und körperlich
überfordert, um diesen Wunsch zu erfüllen. Besonders hart trifft es Alleinstehende, die
keinen haben, der ihnen am Ende ihres Lebens seine Nähe schenkt und sie begleitet. Auch
wenn sie mit einem Dach über dem Kopf sterben, ihr Herz ist obdachlos.
Um dieser Not abzuhelfen, haben sich in den vergangenen Jahren kirchliche, kommunale und
private Initiativen gebildet, um die häusliche, aber auch die stationäre Begleitung,
medizinische Betreuung und Pflege sowie den seelsorgerlichen Beistand Sterbender besser zu
ermöglichen und betroffenen Angehörigen kompetente Hilfen anzubieten. Eine dieser
wertvollen Initiativen ist die Hospizbewegung, die im Haus der Caritas Socialis im
Rennweg eine beispielhafte Verwirklichung gefunden hat. Dabei haben sich die Schwestern
vom Anliegen ihrer Gründerin Hildegard Burjan leiten lassen, die als "charismatische
Künderin sozialer Liebe" an den Brennpunkten menschlicher Not präsent sein wollte.
Wer wie ich dieses Hospiz besuchen darf, geht nicht entmutigt nach Hause. Im Gegenteil:
Der Besuch ist mehr als eine Besichtigung. Er wird zur Begegnung. Die kranken, leidenden
und sterbenden Menschen, die der Besucher hier antrifft, laden ihn durch ihr
selbstverständliches Dasein dazu ein, Leiden und Tod nicht totzuschweigen. Er wird
ermutigt, die Grenzen des eigenen Lebens wahrzunehmen und sich damit ehrlich
auseinanderzusetzen. Das Hospiz läßt die Erfahrung reifen, daß Sterben Leben vor dem
Tod ist. Hier kann auch der letzte Teil des irdischen Lebens bewußt erlebt und
individuell gestaltet werden. Weit davon entfernt, ein "Sterbehaus" zu sein,
wird diese Stätte zu einer Schwelle der Hoffnung, die über das Leiden und den Tod
hinausführt.
3. Die meisten Menschen, denen nach medizinischen Untersuchungen die Diagnose der
Unheilbarkeit mitgeteilt wurde, leben in der Angst vor dem Fortschreiten ihrer Krankheit.
Zu den momentanen Beschwerden tritt die Furcht vor einer weiteren Verschlechterung. In
einer solchen Situation wird für viele der Sinn ihres Lebens brüchig. Sie fürchten sich
vor dem möglichen bevorstehenden Leidensweg. Die bedrohliche Zukunft überschattet die
noch erträgliche Gegenwart. Wem ein langes und erfülltes Leben geschenkt wird, mag dem
Tod vielleicht gelassener entgegensehen und "lebenssatt" (Gen 25, 9) sein
Sterben akzeptieren. Für die meisten Menschen jedoch kommt der Tod immer zu früh, auch
wenn sie hochbetagt sind. Viele Zeitgenossen wünschen sich einen kurzen und schmerzlosen
Tod, andere erbitten sich Zeit zum Abschiednehmen. Fast immer werden Fragen und Ängste,
Zweifel und Wünsche die letzte Etappe des Lebensweges begleiten. Selbst den Christen
bleibt die Angst vor dem Tod oft nicht erspart, der nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift
der letzte Feind ist (vgl. 1 Kor 15, 24; Offb 20, 14).
4. Das Ende des Lebens stellt dem Menschen tiefgreifende Fragen: Wie mag das Sterben sein?
Werde ich allein sein oder liebe Menschen um mich haben? Was erwartet mich danach? Wird
mich Gott in seine Arme nehmen?
Sich behutsam und sensibel diesen Fragen zu stellen, darin besteht die Aufgabe
besonders derer, die im Krankenhaus und im Hospiz tätig sind. Besonders kommt es darauf
an, so über Leiden und Tod zu sprechen, daß diese ihre Schrecken verlieren. Denn auch
das Sterben ist ein Teil des Lebens. Unsere Zeit ruft geradezu nach Menschen, die dieses
Bewußtsein wieder neu zu wecken vermögen. Während es im Mittelalter eine "Kunst
des Sterbens" gab, wird in unseren Tagen auch unter Christen die bewußte Annahme des
Sterbens und die Einübung darin nur zögernd gewagt. Zu sehr ist der Mensch darauf
ausgerichtet, das Leben auszukosten. Er geht lieber in der Gegenwart auf und lenkt sich
durch Arbeit, beruftliche Bestätigung und Vergnügen ab. Trotz oder gerade wegen der
vorfindlichen Konsum-, Leistungs- und Erlebnisgesellschaft wird jedoch der Durst nach
Transzendenz eher noch größer. Auch wenn deren konkrete Jenseitsvorstellungen mitunter
sehr diffus zu sein scheinen, gibt es zunehmend weniger Menschen, die glauben, daß mit
dem Tod alles aus sei.
5. Zwar verstellt der Tod auch dem Christen den unmittelbaren Einblick in das, was kommen
wird, aber er darf sich an die Zusage Christi halten: "Ich lebe, und auch ihr werdet
leben" (Joh 14, 19). Die Worte Jesu und das Zeugnis der Apostel spiegeln in
reicher Bildersprache die neue Welt der Auferstehung wider, aus der die Hoffnung spricht:
"Dann werden wir alle beim Herrn sein" (1 Thess 4, 17). Um den
Schwerkranken und Sterbenden diese Botschaft nahezubringen, müssen diejenigen, die sich
der Patienten annehmen, mit ihrem eigenen Verhalten zeigen, daß ihnen die Worte des
Evangeliums ernst sind. Deshalb zählen Sorge und Begleitung von Menschen im Angesicht des
Todes zu den wichtigsten Kriterien kirchlicher Glaubwürdigkeit. Denn wer sich in der
letzten Phase dieses Lebens von überzeugenden Christen getragen weiß, der kann leichter
darauf vertrauen, daß nach dem Tod Christus als das neue Leben auf ihn wartet. So breitet
sich über allem gegenwärtigen Schmerz und Leid der Glanz einer Frohen Botschaft aus:
"Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei; doch am größten unter
ihnen ist die Liebe" (1 Kor 13, 13). Und die Liebe ist stärker als der Tod
(vgl. Hld 8,6).
6. Wie das Wissen, geliebt zu sein, die Angst vor dem Leiden mindern kann, so bewirkt die
Achtung vor der Würde des Leidenden, daß er auch in dieser anspruchsvollen und
schwierigen Phase des Lebens einen Gewinn für seine menschliche und christliche Reife zu
entdecken weiß. Den Menschen vergangener Zeiten war klar, daß das Leiden zum Leben
gehört. Dies wurde auch allgemein akzeptiert. Heute zielt das Bestreben eher dahin, das
Leiden zu umgehen. Die vielen schmerzstillenden Medikamente sind ein beredtes Beispiel
dafür. Ohne die Nützlichkeit, die ihnen in vielen Fällen zukommt, zu schmälern, sollte
man jedoch nicht vergessen, daß ein vorschnelles Abstellen des Leidens die
Auseinandersetzung mit ihm und die damit verbundene Erlangung einer größeren
menschlichen Reife verhindern kann. Damit der Patient auf diesem Weg wachsen kann, braucht
er an seiner Seite kompetente Menschen, die ihn wirklich begleiten. Eine Voraussetzung,
dem anderen tatsächlich beizustehen, liegt daher im Respekt vor seinem besonderen Leiden
und in der Anerkennung der Würde, die der Kranke auch in dem Verfall bewahrt, die das
Leiden bisweilen mit sich bringt.
7. Die Hospizarbeit knüpft an dieser Überzeugung an. Sie zielt darauf ab, alte,
kranke und sterbende Menschen in ihrer Würde zu achten und ihnen zu helfen, ihr Leiden
als Reifungs- und Vollendungsprozeß ihres Lebens zu erfassen. Was ich in der Enzyklika Redemptor
hominis als Leitmotiv formuliert habe, daß nämlich im Menschen der Weg der Kirche
liegt (vgl. N.5), wird im Hospiz eingelöst. Nicht die hochentwickelte Technik der
Apparatemedizin steht im Mittelpunkt, sondern der Mensch in seiner einzigartigen Würde.
Die Bereitschaft, die mit Geburt und Tod verfügten Grenzen anzunehmen und zu einer
grundlegenden Passivität unseres Lebens "ja" sagen zu lernen, führt deshalb zu
keiner Entfremdung des Menschen. Vielmehr geht es um die Annahme des eigenen Menschseins
in seiner vollen Wahrheit und mit den Schätzen, die jeder Phase des irdischen
Lebenslaufes je eigen sind. Auch in seiner letzten Gebrochenheit wird ja menschliches
Leben niemals "sinnlos" oder "unnütz". Gerade von den kranken und
sterbenden Patienten wird unserer Gesellschaft ein grundlegender Unterricht erteilt. Diese
sieht sich ja den Anfechtungen der modernen Mythen wie Lebenslust, Leistung und
Konsumismus ausgesetzt. Die kranken und sterbenden Menschen erinnern uns daran, daß
keiner über den Wert oder Unwert des Lebens eines anderen Menschen zu befinden hat,
selbst nicht über das eigene. Das Leben ist Geschenk Gottes, ein Gut, über das nur Er
allein bestimmen kann.
8. In dieser Perspektive stellt die Entscheidung zum aktiven Töten immer eine Willkür
dar, auch wenn man sie als Geste der Solidarität und des Mitleids ausgeben will. Der
Kranke erwartet von seinem Nächsten eine Hilfe, um das Leben bis zuletzt durchzustehen
und es in Würde zu beschließen, wann Gott es will. Die künstliche Verlängerung des
Lebens um jeden Preis auf der einen und die Beschleunigung des Todes auf der anderen Seite
mögen unterschiedlichen Grundeinstellungen entspringen. Sie stimmen aber darin überein,
daß sie Leben und Tod als Wirklichkeiten sehen, die vom Menschen selbst in Freiheit zu
setzen seien. Diese falsche Sicht gilt es zu überwinden. Es muß wieder klar werden, daß
das Leben ein Geschenk ist, das der Mensch in seiner Verantwortung vor Gottes Angesicht
führen soll. Hier entspringt der Einsatz für eine humane und christliche
Sterbebegleitung, wie sie im Hospiz umgesetzt wird. Von unterschiedlichen Richtungen
herkommend, sind Ärzte und Pflegende, Seelsorger und Schwestern, Angehörige und Freunde
bestrebt, Kranke und Sterbende zur persönlichen Gestaltung ihrer letzten Lebensphase zu
befähigen, so gut dies im Nachlassen ihrer körperlichen und geistigen Kräfte möglich
bleibt. Dieses Engagement hat hohen menschlichen und christlichen Wert. Er zielt darauf
ab, Gott als "Freund des Lebens" (Weish 11, 26) entdecken und im Leiden
die Frohe Botschaft herauslesen zu helfen: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben
haben und es in Fülle haben" (Joh 10, 10).
9. Diesem Antlitz Gottes, der ein Freund des Lebens und der Menschen ist, begegnen wir vor
allem in Jesus von Nazareth. Zu den ausdrucksstärksten Ausfaltungen dieses Evangeliums
zählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Der Leidende am Straßenrand weckte das
Mitleid des Samariters: "Er ging zu ihm hin, goß Öl und Wein auf seine Wunden und
verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte
für ihn" (Lk 10, 33f.). In der Herberge des barmherzigen Samariters liegt
eine der Wurzeln des christlichen Hospizgedankens. Gerade entlang der großen
mittelalterlichen Pilgerwege boten die Hospize denen Rast und Ruhe, die unterwegs waren.
Den Müden und Erschöpften waren sie Stätten erster Hilfe und Erholung, den Kranken und
Sterbenden wurden sie zu Orten des körperlichen und seelischen Beistandes.
Bis heute ist die Hospizarbeit diesem Erbe verpflichtet. Wie der barmherzige Samariter
auf seinem Weg stehenblieb und den Leidenden umsorgte, so ist es auch den Begleitern der
Sterbenden angeraten, innezuhalten, um die Wünsche, Bedürfnisse und Anliegen der
Patienten zu erspüren. Aus dieser Wahrnehmung kann eine Vielfalt geistlichen Tuns
erwachsen wie das Hören auf das Wort Gottes und das gemeinsame Gebet. Auf menschlicher
Ebene tut es gut, sich im Gespräch auszutauschen oder einfach anteilnehmend dazusein,
ohne dabei die zahllosen kleinen Dienste und Aufmerksamkeiten zu vergessen, die von Wärme
und Zuneigung zeugen. Wie der Samariter den Verletzten mit Öl behandelte, so sollte auch
die Kirche das Sakrament der Krankensalbung denen nicht vorenthalten, die es wünschen.
Auf dieses Angebot des unverbrüchlichen Zeichens der Nähe Gottes hinzuweisen, gehört zu
den Pflichten wahrhaftiger Seelsorge. Denn die palliative Betreuung sterbender Menschen
braucht wesentlich ein spirituelles Element. Der Sterbende soll das "Pallium"
spüren, die Ummantelung, in der er sich im Augenblick seines Hinscheidens bergen darf.
Wie das Leid des Verletzten das Mitleid des Samariters geweckt hat, so möge aus der
Begegnung mit dem Leiden im Hospiz eine Leidensgemeinschaft aller werden, die einen
Patienten auf der Lebensetappe seines Sterbens begleiten. Gefühle der Nähe und
Anteilnahme mögen daraus erwachsen, wie sie der wahrhaft christlichen Liebe entsprechen.
Denn die Tränen dieser Welt trocknen nur die, die selbst weinen können. Eine besondere
Rolle kommt in diesem Haus den Schwestern der Caritas Socialis zu, denen die
Gründerin geschrieben hat: "In den Kranken können wir immer den leidenden Heiland
pflegen und so recht mit Ihm verbunden sein" (Hildegard Burjan, Briefe, 31).
Hier findet die Frohe Botschaft ihr Echo: "Was ihr für einen meiner geringsten
Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25, 40).
10. Allen, die sich in der Hospizbewegung unermüdlich einsetzen, gilt meine höchste
Wertschätzung. Darin schließe ich alle ein, die in Krankenhäusern und Pflegeheimen
Dienst tun, und auch jene, die ihre schwerkranken und sterbenden Angehörigen nicht allein
lassen. Besonders danke ich den Kranken und Sterbenden, die unsere Lehrer sind, wenn wir
das Evangelium vom Leiden besser verstehen wollen. Credo in Vitam. Ich glaube an
das Leben. Schwester Leben und Bruder Tod nehmen uns in die Mitte, wenn unser Herz unruhig
wird angesichts der letzten Aufgabe, vor die jeder von uns auf dieser Erde einmal gestellt
wird: "Euer Herz lasse sich nicht verwirren. [...] Im Haus meines Vaters gibt es
viele Wohnungen" (Joh 14, 1f.).
Ich segne Euch von ganzem Herzen.
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