News 15. 01. 2007

Polens Bischöfe: "Die Kirche hat keine Angst vor der Wahrheit"

Die katholischen Bischöfe Polens haben in einem am Sonntag in allen Kirchen verlesenen Hirtenbrief die Aufklärung von Geheimdienstverstrickungen Geistlicher während des Kommunismus zugesichert. "Die Kirche fürchtet nicht die Wahrheit, selbst wenn das eine schwierige, beschämende Wahrheit ist und sie manchmal schmerzt", hieß es in dem Schreiben eine Woche nach dem Rücktritt des Warschauer Erzbischofs Stanislaw Wielgus. Wielgus hatte Kontakte mit dem früheren kommunistischen Geheimdienst zugeben müssen.

Die Bischöfe sprachen in ihrem Schreiben von einem "dramatischen Ereignis" und sprachen Wielgus Respekt für seinen Rücktritt aus. "Es steht uns nicht zu, über einen Menschen und Mitbruder zu urteilen, der der Kirche viele Jahre treu gedient hat", schrieben sie. "Mit unserem Gebet wollen wir den Erzbischof bei der vollen Erhellung der Wahrheit unterstützen." Es sei auch zu bedauern, dass man dem Erzbischof die Unschuldsvermutung verweigert habe. Es sei eine "Atmosphäre des Drucks" aufgebaut worden, die es Wielgus nicht erlaubt habe, der öffentlichen Meinung eine entsprechende Verteidigung zu präsentieren.

Bischöfe: "Posthumer Sieg des inhumanen Systems"

Neuerlich müsse man erleben, dass die düstere Vergangenheit des früheren totalitären Systems auch heute nachwirkt, schreiben die Bischöfe. Die Dokumente im "Institut für das nationale Gedenken" (IPN) seien nicht "die einzige und umfassende Dokumentation der Vergangenheit". Nur eine kritische Analyse aller erreichbaren Quellen werde es erlauben, sich der Wahrheit anzunähern. Wenn man sie einseitig lese, könnten die von Funktionären des kommunistischen Repressionsapparats erstellten Dokumente Personen ernsten Schaden zufügen und gesellschaftliche Vertrauensverhältnisse zerstören. In diesem Zusammenhang stellen die Bischöfe fest, dass dies "einen posthumen Sieg des inhumanen Systems" bedeute, in dem Polen leben musste. Die Bischöfe fordern von Regierung und Parlament, dafür zu sorgen, dass die Nutzung von Dokumenten aus der Zeit der kommunistischen Herrschaft weder die Personrechte noch die menschliche Würde in Gefahr bringt. Die Beurteilung der Materialien müsse durch ein unabhängiges Gericht erfolgen.

Recht auf Vergebung und Barmherzigkeit

Die Vergangenheit lasse sich nicht ändern, weder die glorreiche noch die beschämende, heißt es in dem Hirtenbrief. Die Bischöfe appellieren aber an alle kirchlichen Mitarbeiter - Priester wie Laien - die Gewissenserforschung über ihr Verhalten während der Periode des Totalitarismus voranzutreiben. Wer immer sich bekehre, habe ein Recht auf Vergebung und Barmherzigkeit und darauf, am Leben der Kirche und der Gesellschaft Anteil zu haben. Viele, "die dem Zwang nachgegeben haben", hätten bereits durch Jahre des treuen Dienstes ihre Schwäche gesühnt.

Kirche hat immer mit der Nation gefühlt

In dem Hirtenbrief heißt es wörtlich: "Die Kirche in Polen hat immer mit der Nation gefühlt, vor allem in den dunkelsten Abschnitten der Geschichte. Dass nach Jahren die Schwäche und Treulosigkeit einiger ihrer Mitglieder, auch von Priestern, ans Licht kommen, ändert diese Tatsache nicht". Der gegenwärtige Augenblick könne für alle eine Zeit der Buße und der Versöhnung, der Wiederherstellung der Gerechtigkeit, der Wiedergewinnung des gegenseitigen Vertrauens und der Hoffnung sein.

Vatikan wird Untersuchungsberichte erhalten

Der polnische Episkopatssprecher Jozef Kloch hatte bereits am Samstag angekündigt, der Vatikan werde die Untersuchungsberichte über die Vergangenheit aller katholischen Bischöfe Polens während des Kommunismus erhalten. Ob diese Berichte veröffentlicht werden, ließ er offen. Die Bischöfe hatten am Freitag während einer außerordentlichen Sitzung des Ständigen Rats des Episkopats entschieden, sich einer Überprüfung ihrer Vergangenheit zu unterziehen.

Bertone: "Kommunikation ist äußerste wichtig in der Kirche"

Der vatikanische Staatssekretär, Kardinal Tarcisio Bertone, lobte die Haltung der  katholischen Bischöfe Polens, die eine rückhaltlose Aufklärung des Skandals versprochen hätten. "Kommunikation ist äußerste wichtig in der Kirche und in der ganzen Gesellschaft", betonte der vatikanische Staatssekretär in einem Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica" (Samstag-Ausgabe). Bertone konnte nicht sagen, wann ein Nachfolger Wielgus' ernannt werden soll. "Der Papst und seine Mitarbeiter beten, danach werden wir sehen", meinte Bertone. Der Kardinal drängte auf Klärung über die Echtheit der Dokumente, die den vor knapp einer Woche nach eingestandener Geheimdienstvergangenheit noch vor seiner feierlichen Amtseinführung zurückgetretenen Warschauer Erzbischof Stanislaw Wielgus belasten. "Man muss bei den Dokumenten das Echte von Fälschungen unterscheiden, hinter denen eine destabilisierende Strategie steckt, die für die Kirche und die zivile Gesellschaft unannehmbar ist", so der Kardinal.

Wielgus: Habe keine falschen Aussagen gemacht

Der päpstliche Nuntius Jozef Kowalczyk hatte in einem Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur KAI erklärt, Wielgus habe seine Vergangenheit dem Papst verschwiegen. Um so etwas künftig zu vermeiden, will der Vatikan in Zukunft Einsicht in die Geheimdienstakten von Kandidaten für ein Bischofsamt nehmen. Wielgus selbst versicherte, er habe keine falschen Aussagen über seine Vergangenheit gemacht. Er habe bei seinen Gesprächen mit Vertretern des Geheimdienstes in den 70er Jahren niemals der Kirche geschadet.

 

 

 

 

 

 

 

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