„Blut für viele“: Was hinter der
Änderung der Messworte steckt
Nur ein kleines Wort ist es, das derzeit unter den Katholiken für Aufregung sorgt. Auf dem Höhepunkt der Messfeier, während der Wandlung, sollen die Worte des Priesters statt wie bisher „mein Blut, das für Euch und für alle vergossen wird“ nun „mein Blut, das für Euch und für viele vergossen wird“ lauten. So lautet der Wunsch von Papst Benedikt XVI., dem er bereits im Jahr 2006 Ausdruck verliehen hatte. Doch wie wird das beim Kirchenvolk ankommen?
Am Dienstag wurde ein Brief des Papstes an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, veröffentlicht, der auch den übrigen Bischöfen des deutschen Sprachraums zugesendet wurde. Darin bekräftigt Benedikt XVI. seinen Wunsch, den Wortlaut zu ändern. Die seit der Liturgiereform von 1970 gängige Formulierung „für Euch und für alle“ sei eine interpretierende Übersetzung, die nicht im neuen „Gotteslob“ stehen solle. Dieses soll in den katholischen Gottesdiensten ab Advent 2013 als neues Gebets- und Gesangbuch verwendet werden.
„Gefahr, dass einige bei ‚für alle‘ bleiben“
„Es droht anscheinend die Gefahr, dass bei der bald zu erwartenden Veröffentlichung der neuen Ausgabe des ‚Gotteslobs‘ einige Teile des deutschen Sprachraums bei der Übersetzung ‚für alle‘ bleiben wollen, auch wenn die Deutsche Bischofskonferenz sich einig wäre, ‚für viele‘ zu schreiben, wie es vom Heiligen Stuhl gewünscht wird“, schrieb der Papst.
Söding: „Er weiß, was er den Gemeinden zumutet“
Professor Thomas Söding von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum sagte zu religion.ORF.at, der Papst kenne die Debatte ganz genau, er habe sich mit Pro und Kontra in der Sache eingehend beschäftigt, was in dem Brief seinen Niederschlag finde. „Ihm ist klar: Es gibt eine Kontroverse bei den Exegeten. Er weiß, was er den Gemeinden damit zumutet“, so Söding. Der Papst wisse auch, dass mit einem Sturm der Entrüstung zu rechnen sei, was in der Formulierung „ungeheure Herausforderung“ in dem Schreiben zu erkennen sei.
„Kirche muss mit einer Zunge sprechen“
Söding zufolge habe der Papst für die Änderung zwei Gründe: „Erstens: Die katholische Kirche muss mit einer Zunge sprechen. Der lateinische Grundtext ‚pro multis‘ wurde in verschiedenen Sprachen unterschiedlich übersetzt. Der Papst will das vereinheitlichen.“ Der zweite Beweggrund sei die „Treue zu Jesus“ und seinen überlieferten Worten – für Söding ein bemerkenswertes Argument. Es gebe zur Abendmahlüberlieferung keinen Standardtext. Benedikt gehe es tatsächlich um die Wortwahl, darum, sich an das zu halten, was von Jesus direkt überliefert ist. Allerdings müssten die Worte des Priesters im Hochgebet unmittelbar verständlich sein. „Bei ‚für alle‘ war das der Fall.“ Bei ‚für viele‘ müsse man abwarten, was die Zukunft bringt: „Aufklärung tut not."
Tück: „Treue zum Offenbarungswort“
Dieser Meinung ist auch Professor Jan-Heiner Tück, Vorstand des Instituts für Systematische Theologie an der Universität Wien, der in diesem Zusammenhang gegenüber religion.ORF.at von der „Treue zum biblischen Zeugnis“ spricht. Zunächst erkläre der Papst, warum es in den 1960er Jahren zu der Übersetzung „für alle“ gekommen ist. Es habe seinerzeit ein Konsens in der Exegese darüber bestanden, dass das Wort „viele“ in Jes 53 eine hebräische Ausdrucksweise sei, um die Gesamtheit, also „alle“, zu benennen. Das Wort „viele“ (Griechisch: „hyper pollon“) in den neutestamentlichen Einsetzungsworten sei daher ein „Semitismus“ und müsse mit dem Ausdruck „für alle“ übersetzt werden.
Papst spricht „kein Machtwort“
Dieser exegetische Konsens sei inzwischen zerbrochen , so Tück. „Die Wiedergabe von ‚pro multis‘ mit ‚für alle‘ war keine reine Übersetzung, sondern eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist.“ Benedikt XVI. votiert vor diesem Hintergrund für eine wörtliche, nicht für eine interpretative Übersetzung. In einigen Sprachen wurde „pro multis“ ohnehin immer mit „für viele“ übersetzt, so etwa im Polnischen und im Norwegischen, im Französischen gelte bislang die sperrige Wendung „pour la multitude“ (Deutsch für die Vielheit), die nun auch geändert werden müsse, führt Tück aus. Auch müsse man dem Papst in seinem Schreiben große Differenziertheit zugestehen. Er spreche hier kein „autoritäres Machtwort“, sondern werbe mit Argumenten für seine Entscheidung.
Eucharistie wieder ernster nehmen
Tück ortet auch einen dritten Grund für die Änderung der Wortwahl: Sie sei auch ein Appell, die Eucharistie wieder ernster zu nehmen, um es drastisch auszudrücken, sie „nicht zum Gemeindepicknick herunterkommen“ zu lassen. „Christus ist für alle gestorben, also erlangen auch alle das Heil – das wäre ein Kurzschluss. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen der objektiven Ebene des göttlichen Heilswillens, der sich auf alle bezieht (was vom Papst nicht bestritten wird), und der subjektiven Ebene der persönlichen Heilsaneignung. Salopp gesagt: Niemand wird über seinen Kopf hinweg erlöst“, sagte Tück.
Änderung als Ausdruck von Konservativismus?
Dennoch: Zeigt sich in dem Zurücknehmen der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vereinbarten Formulierung nicht ein konservativer Schwenk? Die Änderung in „viele“ war von traditionsorientierten Theologen schon lange gefordert worden. Kritiker könnten sogar einen Schritt Richtung ultrakonservative Gruppierungen wie die Piusbrüder darin erkennen. Benedikt selbst spricht diese mögliche Auslegung in seinem Schreiben an: „Denn für den normalen Besucher des Gottesdienstes erscheint dies fast unvermeidlich als Bruch mitten im Zentrum des Heiligen. Sie werden fragen: Ist nun Christus nicht für alle gestorben? Hat die Kirche ihre Lehre verändert? Kann und darf sie das? Ist hier eine Reaktion am Werk, die das Erbe des Konzils zerstören will?“
Konzil „nicht zur Disposition“
Daher, so Tück, sei die Katechese notwendig, „die klarstellt, dass Christus für alle gestorben ist. Hier gibt es keine Einschränkung der Universalität des Heils, das Konzil wird affirmiert, der Heilspartikularismus der Traditionalisten zurückgewiesen“. Das Konzil, sagt Tück, stehe nicht zur Disposition.
Kein „Revanchismus“
Auch Söding ist skeptisch, was Vermutungen in Richtung Rechtsruck angeht: Einen „großen benediktinischen Revanchismus“ kann er nicht erkennen. Schon im Vorfeld haben viele Priester erklärt, dass sie die Neuerung nicht übernehmen werden. „Dann entsteht neuer Streit, obwohl es in der Sache keinen Dissens gibt. Ob das den Gemeinden guttut?“, fragt Söding und hofft auf eine „sachliche Debatte, in der es wirklich um die Mitte des Glaubens geht“.
(Johanna Grillmayer/religion.ORF.at)
Buchtipp:
Gestorben für wen? Zur Diskussion um das „pro multis“, Magnus Striet (Hrsg.), Verlag Herder, 2007.
25. 04. 2012
Neues „Gotteslob“ mit vom Papst gefordertem Messtext ab 2013
Die deutschsprachigen Katholiken werden sich bei einem zentralen liturgischen Text an eine neue Übersetzung gewöhnen müssen: Die vom Priester gesprochenen Wandlungsworte über den Wein sollen künftig entsprechend dem griechischen Bibeltext lauten: „Das ist mein Blut, das für Euch und für viele vergossen wird.“ Damit wäre die seit der Liturgiereform von 1970 übliche Formel „für Euch und für alle“ überholt.
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25. 04. 2012
Schönborn: Papst für „Treue zu
Jesu Worten“ bei Messfeier
Papst Benedikt XVI. tritt für eine größere Treue zu den biblisch überlieferten Worten Jesu Christi bei der Messfeier ein. Das hat Kardinal Christoph Schönborn am Dienstag in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress zu der vom Papst veranlassten Übersetzungs-präzisierung im Hochgebet der Messe festgehalten.