News 25. 07. 2008

40 Jahre "Humanae Vitae" 

Kaum ein anderes päpstliches Lehrschreiben sorgte für so viele Diskussionen wie die am 25. Juli 1968 veröffentlichte Enzyklika "Humanae vitae" ("Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens"). Vor vierzig Jahren erneuerte Papst Paul VI. das katholische Verbot jeder Art von künstlicher Schwangerschaftsverhütung.

1968 war die große Zeit der Studentenrevolten. "Make love, not war", so hieß eine der gern praktizierten Losungen der aufmüpfigen Jugend. Vor allem von der einige Jahre zuvor auf den Markt gekommenen Anti-Baby-Pille versprachen sich viele eine sexuelle Befreiung ohne Grenzen.

Das Konzil sorgte für Aufbruchsstimmung

Auch in der katholischen Kirche waren in den sechziger Jahren dramatische Veränderungen vor sich gegangen: Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) hatte, nach den Worten von Papst Johannes XXIII., die "Fenster der Kirche aufgerissen". In den Konzils-Dokumenten definierte die katholische Kirche u.a. ihr eigenes Selbstverständnis neu, sie klärte ihre Haltung zur Welt, reformierte die Liturgie, bekannte sich zur Religionsfreiheit und bestimmte ihr Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen neu.

Päpstliche Kommission: Verhütung nicht verwerflich

Mitten in das allgemeine Aufbruchsklima platzte im Juli 1968 "Humanae Vitae". Vorausgegangen waren der Enzyklika mehrjährige Beratungen einer schon von Johannes XXIII. eingesetzten päpstlichen Arbeitsgruppe zu den Themen Ehe, Familie und Geburtenregelung. Die deutliche Mehrheit der Kommissionsmitglieder sprach sich schließlich für eine Änderung der kirchlichen Haltung zur Geburtenregelung aus. Verhütung sei an sich nichts sittlich Verwerfliches, betonte die Kommission. Doch Papst Paul VI. folgte nicht den Empfehlungen der Arbeitsgruppe, sondern einem von einigen Bischöfen vorgelegten gegenteiligen Gutachten und bekräftigte das kirchliche Verbot von Verhütungsmitteln.

Enzyklika: "Nein" zur künstlichen Empfängnisverhütung

In "Humanae Vitae" lehnte Paul VI. jegliche Art künstlicher Geburtenregelung ab. "Liebende Vereinigung und Fortpflanzung" seien unlösbar miteinander verbunden. "Diese Verknüpfung darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen." Jeder eheliche Akt müsse offen bleiben für die Weitergabe des Lebens. Daher sind alle Handlungen verwerflich, welche die Fortpflanzung verhindern. Dies gelte vor, während und nach der ehelichen Liebe. Lediglich die Enthaltsamkeit während der fruchtbaren Tage der Frau ist laut "Humanae Vitae" erlaubt. Denn hier machten "die Eheleute von einer naturgegebenen Möglichkeit rechtmäßig Gebrauch". Bei der Verwendung von Verhütungsmitteln - Pille und Kondom werden in der Enzyklika nicht explizit genannt - hinderten sie dagegen den Zeugungsvorgang bei seinem natürlichen Ablauf.

Warnung vor Folgen der Geburtenregelung

Paul VI. warnte gleichzeitig vor schwerwiegenden Folgen, sollte die künstliche Empfängnisverhütung allgemein akzeptiert werden. So könnten sich etwa Staaten versucht sehen, die Bevölkerungszahl mit Zwangsmaßnahmen regulieren zu wollen. Auch das Verhältnis der Geschlechter würde leiden, denn Männer könnten dann die Frauen "zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet".

Die Zeichen der Zeit übersehen?

"Humanae Vitae" stieß wie kaum eine andere Enzyklika auf massive Kritik. Unter katholischen Theologen war das Verhütungsverbot heftig umstritten. Der Schweizer Theologe Hans Küng befürchtete 1968 sogar einen "zweiten Fall Galilei". Nach Ansicht vieler Kritiker zeigte "Humanae Vitae", dass die Kirche die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatte. Tatsächlich benutzten 1968 längst Millionen Katholiken Verhütungsmittel.

Österreichische Bischöfe: Der "abweichenden Überzeugung" darf zunächst gefolgt werden

Sogar unter katholischen Bischöfen war die Enzyklika nicht unumstritten. Die österreichische Bischofskonferenz betonte etwa in ihrer im September 1968 veröffentlichten "Maria Troster Erklärung", dass in der Enzyklika kein unfehlbares Glaubensurteil vorliege. Es sei daher der Fall denkbar, dass Katholiken meinen, das lehramtliche Urteil nicht annehmen zu können. Auf diese Frage sei, so die österreichischen Bischöfe, zu antworten: "Wer auf diesem Gebiet fachkundig ist und durch ernste Prüfung, aber nicht durch affektive Übereilung zu dieser abweichenden Überzeugung gekommen ist, darf ihr zunächst folgen. Er verfehlt sich nicht, wenn er bereit ist, seine Untersuchung fortzusetzen und der Kirche im übrigen Ehrfurcht und Treue entgegenzubringen". Gleichzeitig unterstrichen die österreichischen Bischöfe, dass es wohl "Gewissensfreiheit, aber nicht Freiheit der Gewissensbildung" gibt. Jeder Katholik sei verpflichtet, bei der Bildung seines Gewissens das Gesetz Gottes und das "bestimmende und klärende" Wort des kirchlichen Lehramts, insbesondere das des Papstes, zu beachten. Die kirchliche Autorität leiste Hilfe zur richtigen Gewissensbildung. Ohne diese Hilfe würden sehr oft nicht das Gewissen, "sondern in willkürlicher Weise Neigung und Trieb entscheiden".

Deutsche Bischöfe: Dem Gewissen folgen

Auch die deutschen Bischöfe betonten in ihrer am 30. August 1968 unterzeichneten "Königsteiner Erklärung", dass Gläubige von einer nicht mit Unfehlbarkeit verkündeten Entscheidung des kirchlichen Amtes abweichen können und letztlich ihrem Gewissen folgen müssten. Zugleich zeigten die deutschen Bischöfe Verständnis dafür, "dass viele Priester und Laien vom Heiligen Vater eine andere Entscheidung erwartet hatten". Schließlich seien in den Jahren zuvor "die Methoden der Verwirklichung verantwortlicher Elternschaft" vielfach "dem verantwortungsbewussten Gewissensurteil der Eheleute überlassen" worden, "ohne dass dabei dem Ungehorsam gegen die Kirche (...) das Wort geredet wurde".

"Wir sind Kirche" fordert einen "angstfreien Blick auf Sexualität"

Auf diese Erklärung der deutschen Bischöfe von 1968 beziehen sich auch vierzig Jahre nach der Veröffentlichung der Enzyklika noch Kritiker von "Humanae Vitae". Die "Königsteiner Erklärung" dürfe keinesfalls zurückgenommen werden, hält 2008 etwa die Reformbewegung "Wir sind Kirche" fest und kritisiert, dass die Enzyklika "jetzt sogar noch vom Papst ohne Wenn und Aber bekräftigt worden ist." Immerhin sei Paul VI. damals dem Votum einer Minderheit gefolgt. AIDS und die rasant zunehmende Weltbevölkerung verlangten bessere Antworten als ein striktes Kondomverbot und den bloßen Appell zur Enthaltsamkeit. Die katholische Kirche brauche einen angstfreien Blick auf Sexualität und dürfe sich nicht länger "hinter Jahrhunderte alten Mauern verbarrikadieren", mahnt "Wir sind Kirche".

Schockenhoff: Großartige Passagen über den Sinn der ehelichen Liebe

Nach Ansicht des renommierten katholischen Moraltheologen Eberhard Schockenhoff enthält "Humanae Vitae" über weite Strecken großartige Passagen über den Sinn der ehelichen Liebe. Zugleicht betont Schockenhoff anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums der Enzyklika, wenn breite Kreise der Gläubigen die Gründe für das Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung nicht verstünden und dieses Verbot für ihr Leben als irrelevant betrachteten, lasse sich diese Distanz nicht allein mit einem Appell an die Gehorsamspflicht der Gläubigen beantworten.

Moralische Unterscheidungen

Wenn das wichtigste Element für die moralische Bewertung einer konkreten Handlung in der von ihr verfolgten Absicht liege, fällt es nach Meinung von Schockenhoff schwer, zwischen künstlichen und natürlichen Methoden der Empfängnisregelung einen Unterschied zu sehen. Auf der Ebene des angewandten Mittels lasse sich jedoch argumentieren, so Schockenhoff in einem Interview mit der Nachrichtenagentur KNA, dass das gewollte Ziel - der Ausschluss einer möglichen Zeugung - bei der natürlichen Familienplanung durch die willentliche Beherrschung des Sexualtriebes und die Rücksichtnahme auf den natürlichen Rhythmus der Frau erreicht wird, während dies im anderen Fall durch ein künstliches Mittel geschieht, das die Fähigkeit zur Rücksichtnahme, Selbstkontrolle und Verzicht tendenziell überflüssig macht.

Verantwortlicher Umgang mit Verhütung nicht ausgeschlossen

Sowohl Paul VI. als auch Johannes Paul II. hätten Sorge gehabt, in der hedonistischen Kultur der modernen Wohlstandsgesellschaften könnte die Sexualität zu einer verfügbaren Ware oder zu einem Konsumgut werden, so Schockenhoff. Aber auch wenn es Anzeichen für eine derartige Entwicklung gebe, begründe diese Befürchtung noch nicht, dass "ein verantwortlicher Umgang mit künstlichen Methoden der Empfängnisregelung von vornherein ausgeschlossen ist".

Benedikt XVI.: "Lehrinhalt unverändert wahr"

Von der "Weitsicht" von "Humanae Vitae" überzeugt ist Papst Benedikt XVI. Wie sein Vorgänger Johannes Paul II. setzt auch der derzeitige Papst den Kampf gegen Empfängnisverhütung mit allen Mitteln fort. Vierzig Jahre nach der Veröffentlichung der Enzyklika sei "der Lehrinhalt unverändert wahr", betonte Benedikt im vergangenen Mai vor Teilnehmern eines Kongresses über "Humanae Vitae". Die in dem Lehrschreiben ausgedrückte Wahrheit bleibe unverändert, so Benedikt XVI. "Im Gegenteil, gerade im Licht neuer wissenschaftlicher Entdeckungen ist ihre Lehre aktueller denn je und provoziert eine Reflexion über die ihr innewohnenden Werte. Das Schlüsselwort, um angemessen ihre Inhalte zu verstehen, bleibt die Liebe", erklärte der Papst.

Im "Zirkel eines erstickenden Egoismus"

Die eheliche Liebe werde in der Enzyklika nämlich als ein ganzheitlicher Prozess beschrieben und bleibe nicht bei einer Trennung von Leib und Seele stehen. "Auch ist diese Liebe nicht allein Gefühlen unterworfen, die oft flüchtig und fragwürdig sind, sondern sie nimmt die Einheit der Person ernst" so der Papst. Es gehe nicht nur darum, das wahre Verständnis von Liebe zu verteidigen, sondern zuallererst die Würde der Person überhaupt um sich nicht "in einem Zirkel eines erstickenden Egoismus einzuschließen".

 

 

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- 25. 07. 2008: Offener Brief an den Papst: Verhütungsmittel-Verbot aufheben

- 18. 07. 2008: 40 Jahre "Humanae Vitae":  "Wir sind Kirche" für einen "angstfreien Blick auf Sexualität"

 

Hintergrund:

- Papst Paul VI.

- Das Zweite Vatikanische Konzil

 

Audio-on-demand:

- Ö1-Mittagsjournal (25.07.2008): 40 Jahre "Pillen-Enzyklika"
 

Links:

- "Humanae Vitae"

- Die "Maria Troster Erklärung"

- Die "Königsteiner Erklärung"

 

 

 

 

 

 
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