News 15. 03. 2010

Vatikan: Papst wird sein Schweigen bald brechen

Benedikt XVI. werde sein Schweigen zum sexuellen Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen bald brechen und in einem Hirtenbrief an die irischen Bischöfe klare Maßnahmen bekanntgeben. Dies erklärte der Chef der päpstlichen Akademie für das Leben, Erzbischof Rino Fisichella, am Montag in einem Interview mit der Zeitung "Corriere della Sera".

Das Schweigen des Papstes sei auf die "Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit" des Papst zurückzuführen, mit der dieser sich ein Bild der Lage mache, betonte Fisichella. Ob der Hirtenbrief an die irischen Bischöfe auch ausdrücklich auf die Fälle in Deutschland eingehen wird, ließ er offen. "Den Papst und die gesamte Kirche in die Missbrauchsskandale hineinziehen zu wollen ist ein Zeichen von Gewalt und Barbarei", kritisierte Fisichella. "Die Geschichte Benedikts, sein Leben und seine Schriften sprechen für ihn."

Kein Wort zum Missbrauchsskandal beim Angelusgebet

Beim Angelusgebet am vergangenen Sonntag in Rom ging der deutsche Papst mit keinem Wort auf den Skandal ein. Häufig thematisiert Benedikt bei dem Gebet am Ende der Messe auch aktuelle Ereignisse.

Forderungen nach einer Stellungnahme des Papstes

Vor allem in Deutschland wurden in den letzten Tagen Forderungen an den Papst laut, zum Missbrauchsskandal öffentlich Stellung zu beziehen. So forderte etwa die katholische Jugend in Deutschland das Kirchenoberhaupt auf, sich zu den Missbrauchsfällen öffentlich zu äußern.

"Außerhalb der Kirche versteht keiner, dass er sich nicht klar äußert - und ich verstehe es auch nicht", sagte der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, Dirk Tänzler, am Montag in Düsseldorf. Auch die Reformbewegung "Wir sind Kirche" hatte sich enttäuscht über das Ausbleiben einer Erklärung des Papstes beim Angelusgebet am Sonntag gezeigt. "Viele kirchentreue Katholiken bedauern es, dass Benedikt XVI. nicht einmal ein kleines Wort des Mitgefühls geäußert hat", sagte Vorstandsmitglied Christian Weisner der Münchner Zeitung "tz" (Montagsausgabe).

Joseph Ratzunger hatte 1980 der Versetzung eines pädophilen Priesters zugestimmt

Das Angelusgebet war der erste öffentliche Auftritt des Papstes gewesen, nachdem am Freitag eine folgenreiche Entscheidung aus Joseph Ratzingers Amtszeit als Münchner Erzbischof (1977 bis 1982) bekannt geworden war. Der spätere Papst hatte 1980 der Versetzung eines Priesters von Essen nach München zugestimmt, der zuvor einen Elfjährigen sexuell missbraucht haben soll. Später wurde der Priester wegen erneutem sexuellen Missbrauch verurteilt. Ebenfalls am Freitag hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch, bei einer Audienz mit dem Papst über die Missbrauchsfälle gesprochen. Danach drang lediglich an die Öffentlichkeit, dass der Papst sehr erschüttert sei.

"Schwere Fehler" der Erzdiözese München

Die Erzdiözese München-Freising hatte am Freitagabend "schwere Fehler" im Umgang mit einem Missbrauchsfall in den 1980er Jahren - als der jetzige Papst Joseph Ratzinger Münchner Erzbischof war - eingeräumt. Die Diözesanleitung hatte einen Priester trotz Missbrauchsvorwürfen in der Seelsorge eingesetzt. Für die "falschen Entscheidungen" übernehme der damalige Generalvikar Gerhard Gruber die Verantwortung, teilte die Erzdiözese mit. Der heute 81-Jährige bedauere zutiefst, dass es dadurch zu dem Vergehen habe kommen können.

Der Generalvikar setzte den Geistlichen "uneingeschränkt zur Seelsorgemithilfe" ein

Über den Fall berichtete die "Süddeutsche Zeitung" in ihrer Samstagsausgabe. Eine vom heutigen Generalvikar Peter Beer eingesetzte Arbeitsgruppe habe daraufhin Untersuchungen angestellt und den Zeitungsbericht bestätigt. Die Recherchen der Arbeitsgruppe ergaben, dass die Erzdiözese im Januar 1980 auf Bitten des Bistums Essen den Kaplan H. aufgenommen hatte. Der Aktenlage nach scheint bekannt gewesen zu sein, dass der Priester in München eine Therapie vermutlich wegen sexueller Beziehungen zu minderjährigen Burschen machen sollte. Um dies dem Geistlichen zu ermöglichen, sei ihm eine Unterkunft in einem Pfarrhaus gewährt worden. Der Beschluss sei auch vom damaligen Erzbischof Joseph Ratzinger mitgefasst worden, heißt es in der Mitteilung. Davon abweichend habe Generalvikar Gruber den Kaplan "uneingeschränkt zur Seelsorgemithilfe" in einer Münchner Pfarre angewiesen. Bis August 1982 seien keine Beschwerden über den Betreffenden vorgelegen. Danach habe er bis Anfang 1985 seelsorglich in Grafing gewirkt. Als dort die Polizei wegen des Vorwurfs sexuellen Missbrauchs zu ermitteln begann, sei der Priester am 29. Jänner 1985 vom Dienst entpflichtet worden. Das Amtsgericht Ebersberg verurteilte Kaplan H. im Juni 1986 wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger, wie die Erzdiözese weiter bestätigte. Gegen ihn wurde eine 18-monatige Freiheitsstrafe auf Bewährung und eine Geldstrafe verhängt. Die Bewährungszeit sei auf fünf Jahre festgesetzt worden. Außerdem sei der Verurteilte angewiesen worden, sich in eine Psychotherapie zu begeben.

Ab 1987 wieder als Pfarrer eingesetzt

Von November 1986 bis Oktober 1987 sei der Geistliche als Kurat in einem Altenheim tätig gewesen, danach bis 2008 in einer Gemeinde in Garching/Alz. Für den erneuten Einsatz in der Pfarrseelsorge seien offenbar "die relativ milde Strafe" des Amtsgerichts und die Ausführungen des behandelnden Psychologen ausschlaggebend gewesen, heißt es in der Mitteilung. Zudem wird betont, dass dem Ordinariat seit dem Gerichtsurteil keine weiteren Vorfälle mehr bekannt wurden. Ab Mai 2008 sei H. von seinen Aufgaben als Pfarradministrator entpflichtet und ab Oktober in der Kur- und Tourismusseelsorge eingesetzt worden. Ihm sei zur Auflage gemacht worden, keine Jugend-und Ministrantenarbeit mehr machen zu dürfen. Ein auf Wunsch des neuen Münchner Erzbischof Reinhard Marx erstelltes forensisches Gutachten habe aus Sicht des Ordinariats nicht den Verbleib von H. in der Pfarrseelsorge gerechtfertigt.

Vatikan kritisiert Versuche, den Papst in den Skandal hineinzuziehen

Der Vatikan wies am Wochenende jede direkte Verwicklung des Papstes in den Missbrauchsskandal in seiner früheren Diözese zurück. "In den letzten Tagen gab es einige, die mit einer gewissen Verbissenheit in Regensburg und in München nach Elementen gesucht haben, um den Heiligen Vater persönlich in die Missbrauchsfragen mit hineinzuziehen", so Vatikan-Sprecher Federico Lombardi. Für "jeden objektiven Beobachter" sei klar, "dass diese Versuche gescheitert sind", so Lombardi.

Sexuelle Übergriffe bei den Domspatzen angeblich noch in den 90er Jahren

In Regensburg geht es um Missbrauchsfälle bei den Domspatzen, die Benedikts Bruder Georg Ratzinger von 1964 bis 1994 geleitet hatte. Laut den Aussagen ehemaliger Schüler ist es bei den Domspatzen noch bis mindestens 1992 zu Übergriffen gekommen. Bisher waren nur Fälle aus den 50er und 60er Jahren bekannt gewesen. Ein Ex-Schüler berichtete dem Nachrichtenmagazin "Speigel", dass er in dem Internat bis 1992 sexuelle und körperliche Gewalt allgegenwärtig erlebt habe. Er sei im Internat von älteren Schülern vergewaltigt worden, auch in der Wohnung eines Präfekten sei es zu Verkehr zwischen Schülern gekommen.

Ex-Domspatz: Georg Ratzinger war "extrem cholerisch und jähzornig"

Den damaligen Chor-Chef Georg Ratzinger erlebte der Ex-Schüler laut eigener Aussage als "extrem cholerisch und jähzornig". Ratzinger habe noch Ende der 80er Jahre bei Chorproben Stühle nach den Jungen geworfen, wenn er wütend gewesen sei. Vor wenigen Tagen hatte Georg Ratzinger der "Passauer Neuen Presse" gesagt, dass er bis Ende der 70er Jahre hin und wieder Ohrfeigen verteilt habe, doch habe er dabei eigentlich immer ein schlechtes Gewissen gehabt, so Ratzinger, der laut eigener Aussage "froh" war, als 1980 körperliche Züchtigungen gesetzlich verboten wurden. An diese Maßgabe habe er sich, so Ratzinger in dem Zeitungsinterview, "striktissime" gehalten. Von sexuellem Missbrauch im Umfeld des berühmten Knabenchors hatte Georg Ratzinger laut eigener Aussage keine Ahnung.

Vatikan will Verjährungsfrist aufheben

Der Vatikan erwägt laut "Kathpress" eine Aufhebung der zehnjährigen Verjährungsfrist für Missbrauchsdelikte. Die Praxis zeige, dass "eine Zehn-Jahres-Frist dieser Typologie von Fällen nicht angemessen" sei, erklärte Charles J. Scicluna, Strafverfolger der Glaubenskongregation für schwere kirchenrechtliche Vergehen.

Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" sieht dagegen weiteren Erklärungsbedarf zu Joseph Ratzingers Zeit als Münchner Erzbischof 1977 bis 1982. Ihr Sprecher Weisner widersprach der Darstellung des Münchner Erzbistums, dass der frühere Generalvikar Gerhard Gruber für diesen Fall die "volle Verantwortung" trage. Die eigentliche und letzte Verantwortung habe bei Joseph Ratzinger gelegen, betonte er.

Vatikan: Kein Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch

Die Verpflichtung der Priester zum Zölibat ist nach Ansicht des Vatikan nicht die Ursache für die in jüngster Zeit bekanntgewordenen Fälle von sexuellen Übergriffen durch Geistliche. Zwischen beiden Dingen gebe es keinen Zusammenhang, erklärte Bischof Giuseppe Versaldi am Sonntag in der Vatikan-Zeitung "L'Osservatore Romano". Zum einen sei bekannt, dass es mehr sexuelle Übergriffe auf Kinder durch nicht-zölibatäre Laien und Verheiratete als in der Priesterschaft gebe, sagte Versaldi. Zum zweiten habe die Forschung gezeigt, dass Priester, die sich schuldig gemacht hätten, die Regeln des Zölibats schon zuvor nicht beachtet hätten.

 

 

 

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