Beschneidungsverbot: Ruf nach neuem Gesetz in Deutschland
In Deutschland hat nach dem Kölner Beschneidungsurteil ein breites Bündnis muslimischer Organisationen am Mittwoch die Politik aufgefordert, „schnellstmöglich zu handeln“. Es brauche Rechtssicherheit in Form eines Gesetzes für die religiöse Beschneidung von Jungen. Auch in Österreich sehen christliche und jüdische Vertreter in dem Urteilsspruch einen massiven Eingriff in die Religionsfreiheit.
Die Entscheidung des Kölner Landgerichts sei in ihrer Massenwirkung einzigartig und habe die Muslime schockiert, sagte der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland (KRM), Ali Kizilkaya.
Beschneidung Teil der Kultur
Sowohl fromme wie säkulare Gläubige seien betroffen, weil die Beschneidung nicht nur ein religiöses Gebot sei, sondern auch zur Tradition und Kultur gehöre. Er betonte, die angeschlossenen Organisationen stünden stellvertretend für die meisten Muslime in Deutschland. Selten zuvor habe es einen so breiten Zusammenschluss unter ihnen gegeben. Auch bei Politikern, im Judentum und bei den christlichen Kirchen stieße das Urteil weithin auf Ablehnung.
„Verheerende Wirkung“ auf die Integration
Die Kölner Entscheidung bedeute einen „massiven Eingriff“ in die Religionsfreiheit und verletze das religiöse Erziehungsrecht der Eltern. Außerdem habe es eine „verheerende Wirkung“ für die Integration der Muslime. „Sie bekommen damit nicht gerade das Gefühl, hier mit ihrer Religion willkommen zu sein“, so Kizilkaya. „Wir fordern den deutschen Bundestag sowie die Politik auf, schnellstmöglich zu handeln und eine gesetzlich geschützte Regelung für die Beschneidung von Jungen zu erlassen“, heißt es in einer Erklärung des Bündnis unter der Führung des KMR.
Muslimische Eltern vor Gewissenkonflikt
In der vergangenen Woche hatte das Landesgericht Köln religiöse Beschneidungen als strafbare Körperverletzung eingestuft. Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung wiege in diesem Fall schwerer als der Elternwille und die Religionsfreiheit, urteilte das Gericht. Muslimischen Eltern stelle dieser Urteilsspruch vor einen großen Gewissenskonflikt, sagte Kizilkaya. „Wir wollen auch keinen Beschneidungstourismus ins Ausland, das muss der Gesetzgeber auch bedenken.“ Offen sei, ob sich der KMR an das Bundesverfassungsgericht wenden werde. Eigentlich gehe man fest davon aus, dass dies nicht nötig sein werde, weil der Bundestag eine entsprechende gesetzliche Regelung schaffen werde, so Kizilkaya.
Kritische Worte aus Österreich
Kritik am Kölner Urteilsspruch kommt auch aus Österreich. Der Wiener Theologe Martin Jäggle als Präsident des österreichischen Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit äußerte sich wie auch der Wiener Rabbiner Schlomo Hofmeister und der evangelischen Synodenpräsidenten Peter Krömer besorgt.
Begrenzte Sicht auf Rituale
Von einem „eklatanten Eingriff“ sprach Martin Jäggle am 4. Juli in einer Stellungnahme gegenüber „Kathpress“. Das Kölner Urteil habe zwar für Österreich keine rechtlichen, könne aber sehr wohl gesellschaftspolitische Folgen haben. Es zeige sich darin eine „westliche Grundhaltung“ gegenüber Ritualen generell, so Jäggle: „Wer davon ausgeht, dass nur die innere Einstellung zählt, wird Rituale nie verstehen und als bloß 'äußerlich' abtun“, so Jäggle. Diese Sichtweise sei mittlerweile so verbreitet, dass ihre „Begrenztheit“ für Betroffene schwer zu erkennen sei.
Widersprüchliche Beurteilung
Noch ein zweiter Punkt stört den Protagonisten des interreligiösen Dialogs in Österreich. Jäggle wies auf den Widerspruch zwischen der Einstufung von Beschneidung als „Körperverletzung“ und dem zugleich in vieler Hinsicht „normativen Umgang mit dem Körper in unserer Gesellschaft“ hin. Das Durchstechen von Ohrläppchen u.ä. dem Schönheitsideal entsprechende Eingriffe seien akzeptiert, während hier bei einer uralten identitätsstiftenden Symbolhandlung auf „Unversehrtheit“ gepocht werde.
Versuch religiöses Leben zu „delegitimisieren“
Ähnlich argumentiert Schlomo Hofmeister, Gemeinderabbiner von Wien. Beschneidung sei ein Eingriff, der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Präventivmaßnahme empfohlen wird. Es sei nicht nur absurd, ihn „als rechtswidrige Körperverletzung zu diffamieren, weil - und nur weil - seine Durchführung religiös begründet war“, sondern „implizit eine bemerkenswerte Antwort auf die Frage, was wohl die wahre Motivation der an diesem Gerichtsverfahren beteiligten Personen ist“. Hofmeister sieht in dem Urteil „den säkularistischen Versuch, religiöses Leben in Deutschland gesellschaftlich zu delegitimisieren“.
(KAP/dpa/religion.orf.at)
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