News 19. 05. 2006

Integrationsstudie: "Friedfertiges Nebeneinander" in Österreich

Seit Tagen wird in Österreich über die Aussage von Innenministerin Liese Prokop diskutiert, wonach 45 Prozent der in Österreich lebenden Muslime integrationsunwillig sind. Der Begriff "integrationsunwillig" kommt allerdings in jener Studie, auf die Prokop sich bezog, überhaupt nicht vor. Vielmehr wird festgehalten, dass der "Mainstream" unter Österreichs Muslimen durch "integrationsfreundliche Grundhaltungen repräsentiert" wird.

Allerdings betonte der Verfasser der Studie über "Perspektiven und Herausforderungen in der Integration muslimischer MitbürgerInnen in Österreich", der Islamexperte der Universität Erlangen-Nürnberg, Mathias Rohe, dass es bei 45 Prozent der Muslime ein "großes Maß an Distanz" zur Mehrheitsbevölkerung gebe. Eine ähnliche Distanz gegenüber den muslimischen Mitbürgern besteht seinen Angaben zufolge bei 40 Prozent der Österreicher.

Rohe: "Das Wort taucht so nicht auf"

In der Studie wird festgehalten, dass "der 'Mainstream' ... durch integrationsfreundliche Grundhaltungen repräsentiert (wird), nicht durch religiös-konservative oder versteinerte kulturelle Vorprägungen". Es gebe zwar eine "signifikante Minderheit", die anders denkt, sie "kann aber keine Meinungsführerschaft beanspruchen". Angesprochen auf den Begriff der "Integrationsunwilligkeit" meinte Rohe am Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien: "Wenn sie nach dem Wort fragen: Das Wort taucht (in der Studie, Anm.) so nicht auf."

Ein distanziertes Nebeneinander

Rohe konstatiert in Österreich eine "Integration" auf niedrigem Niveau. Die Integration der Muslime in die österreichische Gesellschaft - "nicht: die Assimilation an sie!" - sei "noch bei weitem nicht erfolgreich abgeschlossen", so Rohe, laut APA in der umstrittenen Studie. In Österreich dominiere das "weitestgehend friedfertige Nebeneinander mit einer noch verbreiteten gegenseitigen Distanz", stellt Rohe fest. "Persönliche Erfahrungen und Einschätzungen der befragten Österreicher und Muslime hinsichtlich des Zusammenlebens lassen die vereinfachte Aussage zu, wonach ein insgesamt eher kontaktarmes, friedliches, aber von einiger Distanz geprägtes Nebeneinander besteht."

Ein Fünftel der Muslime ist "religiös-konservativ"

Rohe verweist aber darauf, dass sowohl Österreicher als auch Muslime "sehr heterogene" Gruppen seien, und teilt die Muslime in vier Kategorien ein: Rund ein Viertel der Türken und Bosnier seien "säkularisiert" (lebt also rituelle Aspekte der Religion im Alltag praktisch nicht), fast ein Drittel "moderat liberal" (bekennend gläubig, aber kritisch gegenüber konservativ-religiösen Doktrinen), ein gutes Viertel traditionell-konservativ (konservative Grundhaltung hinsichtlich Erziehung und Lebensumfeld, Prägung durch kulturell-religiös tradierte Werte) und ein knappes Fünftel religiös-konservativ (mit in äußeren Zeichen wie Kleidung, Ritualgebet oder Moscheebesuch sichtbarer streng religiösen Lebensweise).  

"Großes Maß an Distanz" bei 45 Prozent

Probleme gibt es laut Rohe sowohl bei "traditionell-konservativen" als auch bei "religiös-konservativen" Muslimen (zusammen 45 Prozent) . Es gebe ein "großes Maß an Distanz" zur Mehrheitsbevölkerung, "das unter ungünstigen Rahmenbedingungen umschlagen kann in Gegnerschaft." Freilich könne diese Haltung kann auch Folge der Ablehnung der Muslime durch die Mehrheitsbevölkerung sein, betonte Rohe und sprach von einer "Trotzreaktion".

40 Prozent der Österreich negativ eingestellt

Die befragten Österreicher äußerten sich zu mehr als 60 Prozent neutral (39 Prozent) oder positiv (24 Prozent) über die Muslime - während 40 Prozent ihnen moderat oder sogar extrem (17 Prozent) negativ gegenüber steht. Der Islam werde als gesellschaftlich rückständig wahrgenommen, "weitgehend aber nicht als strukturell gewalttätig", auch wenn ihm größere Gewaltbereitschaft zugeschrieben werde als anderen Religionen. "Die große Mehrheit der Österreicher (fast 90 Prozent) unterscheidet hier zwischen dem Islam als Ganzem und seinem Missbrauch durch Extremisten."

Bosnier haben weniger Probleme, als Türken

Weitere interessante Ergebnisse hält Rohe in der Frage der Haltung zur Lebensweise der Österreicher fest: "Fast ebenso viele Religiös-Konservative wie Säkularisierte (41 bzw. 47 Prozent) schätzen Freiheit, Selbstbestimmung und Fleiß der Österreicher. Allerdings werden Art der Erziehung, geringer Familienzusammenhalt und mangelnde nachbarschaftliche Kontakte und mangelnder Respekt vor dem Alter von vielen beklagt." Bei Bosniern seien im Hinblick auf Kultur und Religion wie auch bei der Integration allgemein kaum Probleme erkennbar, während unter Türken verbreitete Verunsicherung hinsichtlich ihrer Identität, neben Sprachproblemen auch eine deutlich stärkere Distanz zur Mehrheitsgesellschaft verbreitet sei, schreibt Rohe.

Muslime für größeren Einfluss des Islam

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie: Ein "erheblicher Anteil" von ca. 38 Prozent der Muslime wünsche einen größeren Einfluss des Islam auf die österreichische Politik und Gesellschaft - und ein großer Teil der Österreicher sehe dies mit Sorge. Diese Forderung hätten aber vor allem Religiös-Konservative erhoben, hält Rohe fest - und sie dürften sich wohl vor allem auf einen öffentlich "sichtbaren" Islam beziehen, also z.B. Moscheen oder die Etablierung der islamischen Feiertage. Dies sei jedoch "normal". Wiewohl eine "geringe Zahl gefährlicher Extremisten... zweifellos vorhanden sei", seien Gerüchte über "Masterpläne zur Islamisierung Europas sind dem Genre der (partiellen) Weltuntergangsprophetie zuzurechnen".

Wege zur besseren Integration…

Abschließend zeigt der Islamwissenschaftler Rohe in der Studie Wege zur Integration auf: Ein "adäquates Ausbildungssystem einschließlich ausschlussfähiger religiöser Ausbildung, realistische Möglichkeiten zur wirtschaftlichen und sozialen Partizipation einschließlich einer Präsenz in Öffentlichkeit und Medien, welche die Binnenpluralität angemessen widerspiegeln".

Interviews und Zeitungsanalysen

Rohe hat nicht nur Telefoninterviews unter 1.000 Österreichern und 504 Muslimen  - Türken und Bosniern in Österreich - Ende 2005 durchgeführt, sondern auch ausführliche Leitfadeninterviews mit rund 100 Muslimen Anfang 2006. Außerdem hat er ausführlich auch die Berichterstattung der Tageszeitungen zum Thema analysiert.

Prokop: "Das ist im Prinzip das gleiche"

Innenministerin Prokop verteidigte am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Rohe ihre Aussage vom Wochenende, wonach 45 Prozent der Muslime "nicht an einer Integration interessiert sind". Die Studie verwende vielleicht "eine andere Form der Wortwahl", so die Ministerin. Ob die betroffenen zur Integration nicht in der Lage oder nicht willens sind, oder eine Distanz zur Mehrheitsbevölkerung besteht, ist für sie nicht entscheidend: "Das ist im Prinzip meiner Meinung nach das gleiche."

"45 Prozent sind nicht an einer Integration interessiert"

Prokop hatte am vergangenen Samstag in der "Tiroler Tageszeitung" wörtlich gesagt: "Mir ist die Integration sehr wichtig. Aber es gibt Gruppen im Land, die wollen das nicht. Wir haben eine Studie über die Muslime in Österreich machen lassen. Herausgekommen ist, dass 45 Prozent nicht an einer Integration interessiert sind". Weiters meinte Prokop: "Wer sich nicht integrieren will, hat bei uns nichts zu suchen". Einen Fehler sieht die Innenministerin in dieser Aussage nicht: "Absolut nicht, ich bin sehr froh, dass wir diese Diskussion jetzt haben. Aber wir müssen sie sachlich weiterführen."

Al-Rawi: "Wer nimmt sich das Recht, mich in eine Kategorie zu pferchen?"

Der Integrationsbeauftrage der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IG), der Wiener SPÖ-Gemeinderat Omar Al-Rawi, übte am Freitag "substanzielle Kritik" am grundsätzlichen Aufbau der so genannten "Moslem-Studie". Er empfinde es als Irritation und auch Beleidigung, dass man darin Muslime in Kategorien schubladisiere. Hier werde versucht, "einen Keil in die muslimische Gemeinde zu schlagen", meinte Al-Rawi gegenüber der APA. Die Einteilung in vier Kategorien (säkular, moderat liberal, traditionell-konservativ und religiös-konservativ, Anm.) diene dazu, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Hier werde nach dem Motto agiert: "Die guten Bosnier gegen die schlechten Türken und die guten Säkularen gegen die bösen Religiösen." Dass etwa Personen, die durch ihre Kleidung als Muslime erkennbar seien und die Moschee besuchen würden, bereits als religiös-konservativ eingeordnet würden, sei "sehr schwer bedenklich und aufs Schärfste abzuweisen", so Al-Rawi. Er selbst besuche die Moschee und sei zugleich ein kritisch denkender Mensch. "Wer nimmt sich das Recht, mich oder andere in eine Kategorie zu pferchen?", meinte der IG-Integrationsbeauftragte.

SPÖ: "Oberflächlicher Umgang"

Kritik an Prokop kam auch von den Oppositionsparteien. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos warf Prokop "oberflächlichen Umgang" mit dem Thema Zuwanderung vor. Darabos plädierte im SPÖ-Pressedienst dafür, die aktuelle Studie zur Integration genau zu analysieren und "jedenfalls ernst zu nehmen". Die SPÖ werde das sensible Thema der Zuwanderung und Integration "keinesfalls so oberflächlich, um nicht zu sagen fahrlässig, behandeln, wie dies die ÖVP und Innenministerin Prokop in den letzten Tagen getan haben". "Eine sachliche Analyse wäre auch der verantwortlichen Ministerin gut angestanden", so Darabos.

Grüne: Prokop schürt Rassismus

Die Grüne Migrationssprecherin Terezija Stoisits meinte, Prokops Verhalten sei ein "Paradebeispiel für das Schüren von Rassismus".  Prokops Behauptung, 45 Prozent der Muslime in Österreich seien nicht integrationswillig, sei wissenschaftlich überhaupt nicht belegt, meinte Stoisits. "Das wirklich Schlimme" an Prokops Verhalten und Wortwahl sei, "dass die Ministerin die Autorität ihres Ministeramtes dazu benützt, um ganze Bevölkerungsgruppen zu isolieren und als Problemfall darzustellen". Deshalb halte sie ihren Vorwurf, dass die ÖVP einen "Anti-Ausländer-Wahlkampf" eröffnet habe, aufrecht.

Migrationsexpertin bezweifelt die Wissenschaftlichkeit

Skeptisch steht der Studie des Innenministeriums auch die Migrationsexpertin Barbara Herzog-Punzenberger von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gegenüber. Sie ist von der wissenschaftlichen Seriosität der Studie nicht überzeugt.

- mehr dazu auf oe1.ORF.at

 

 

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Link:

- Studie "Perspektiven und Herausforderungen in der Integration muslimischer MitbürgerInnen in Österreich"

 

Hintergrund:

- Bis zu 400.000 Muslime in Österreich 

- 52 Millionen Muslime leben in Gesamteuropa

- ORF.at: Studie widerspricht Prokop

 

Grafik:

- Muslime in Österreich

 

 

 

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