News 25. 02. 2010

Deutschland: Bischöfe gehen beim Thema Kindesmissbrauch in die Offensive

Die katholische Kirche in Deutschland will künftig alles tun, um den sexuellen Missbrauch von Kindern in den eigenen Reihen zu verhindern oder aufzuklären.

"Wir haben das Ausmaß der Verfehlungen unterschätzt", räumte Erzbischof Robert Zollitsch am Donnerstag zum Abschluss der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Freiburg ein. Mit dem Maßnahmenkatalog, den der Vorsitzende der Bischofskonferenz zur Aufdeckung und Prävention von Missbrauch ankündigte, wollen die in die Kritik geratenen Bischöfe das Heft des Handelns in die Hand nehmen.

Bischof wird Missbrauchsbeauftragter

Zollitsch, der zum Auftakt des Treffens der Bischöfe am Montag in Freiburg auf bohrende Fragen noch im Vagen blieb, kündigte nun eine Reihe von Neuerungen an, die den Kritikern der Kirche den Wind aus den Segeln nehmen sollen. Das Signal: Die katholische Kirche geht das Tabu-Thema Kindesmissbrauch nun offensiv an. Der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, wird zum Sonderbeauftragten für sexuellen Missbrauch in der Kirche und erhält dazu ein eigenes Büro im Sekretariat der Bischofskonferenz. Überdies richtet die Bischofskonferenz eine bundesweite Hotline zu Informationen in Fragen des sexuellen Missbrauchs ein.

Stärkung der psychosexuellen Reife

 Laut Zollitsch suchen die Bischöfe nun auch den Kontakt zu zivilen Opfer-Einrichtungen. "Wir wollen von ihnen lernen und klarer erkennen, was der Kirche zur Prävention sexuellen Missbrauchs in ihrem eigenen Bereich möglich ist und abverlangt wird", sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Zu dieser Prävention sollen künftig auch "bessere Hilfen zur Stärkung der psychosexuellen Reife" angehender Priester dienen.

Kooperation mit Staatsanwaltschaft

Zudem soll die zuletzt von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte Zusammenarbeit mit Staatsanwälten bei Missbrauchsfällen intensiviert werden. In den sogenannten Fuldaer Leitlinien der Kirche von 2002 heißt es dazu noch, dass selbst "in erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger" nur "gegebenenfalls" ein "Gespräch mit der Staatsanwaltschaft gesucht" werde.

Konflikt mit Justizministerin beendet

Zollitsch sicherte nun zu, dass die Strafverfolgungsbehörden bei ihrer Arbeit künftig "aktiv" unterstützt und Staatsanwaltschaften "frühzeitig" eingeschaltet würden. Insofern sieht der Freiburger Erzbischof einem vereinbarten Treffen mit Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gelassen entgegen. Der Konflikt mit der Ministerin um die Zusammenarbeit von Kirche und Justiz sei "beendet", sagte Zollitsch in Freiburg.

 

 

 

Wortlaut des neuen Vier-Punkte-Plans der deutschen Bischöfe zum Missbrauch

 

Die deutschen Bischöfe haben bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Freiburg einen Vier-Punkte-Plan beschlossen, um sexuellen Missbrauch in der Kirche konsequent aufzudecken und ihn künftig zu verhindern. "Kathpress" dokumentiert den vollständigen Wortlaut der Erklärung:

Beschämt und schockiert

Enthüllungen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche und Mitarbeiter der Kirche erschüttern uns in diesen Tagen. Wir Bischöfe stellen uns unserer Verantwortung. Wir verurteilen die Verbrechen, die Ordensleute sowie Priester und Mitarbeiter unserer Bistümer begangen haben. Beschämt und schockiert bitten wir alle um Entschuldigung und Vergebung, die Opfer dieser abscheulichen Taten geworden sind.

 

1. Die Wahrheit aufdecken

 

Wer sich an Kindern oder Jugendlichen sexuell vergeht, fügt ihnen oft lebenslang quälende Wunden zu. Lehrer und Erzieher verraten dabei aufs Tiefste das Vertrauen junger Menschen. Sie verletzen ihre Intimsphäre, statt sie zu schützen. Wenn der Täter ein Priester ist, wiegt dieses Vergehen besonders schwer. Es steht im Widerspruch zum geistlichen Amt, weil dann der Priester die besondere Nähe ausnutzt, die Menschen mit einem Seelsorger verbindet. Wir deutschen Bischöfe sind betroffen über jeden Fall sexuellen Missbrauchs durch Geistliche und andere Mitarbeiter. Wir wollen eine ehrliche Aufklärung, frei von falscher Rücksichtnahme, auch wenn uns Vorfälle gemeldet werden, die schon lange zurückliegen. Die Opfer haben ein Recht darauf.

 

2. Die Leitlinien auswerten

 

Wir stehen nicht am Anfang der Auseinandersetzung mit solchen Verfehlungen, auch wenn wir ihr Ausmaß bislang unterschätzt haben. Vor acht Jahren haben wir die "Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" (26.09.02) erarbeitet. Sie gelten in allen Bistümern. Der Zusammenschluss der deutschen Ordensoberen hat sie übernommen. Sie verhindern Vertuschung und Verschleierung. Die Leitlinien sagen den Opfern und ihren Angehörigen eine menschliche, therapeutische und seelsorgliche Hilfe zu, die individuell angepasst ist. In jedem Bistum gibt es Ansprechpartner, an die man sich im Verdachtsfall oder mit Fragen wenden kann. Wir werden klären, wie ihre Auswahl noch verbessert werden kann und ob ihre Arbeit durch weitere Personen und Ombudsleute ergänzt werden soll. Besondere Bedeutung hat für uns auch die frühzeitige Einschaltung der Staatsanwaltschaften. Wir unterstützen die Behörden aktiv bei ihrer Arbeit. Wir haben einige Verantwortliche im Personalbereich unserer Bistümer gebeten, mit der Unterstützung unabhängiger externer Berater die Leitlinien und ihre Umsetzung zu überprüfen. Wir erwarten bis zum Sommer weiterführende Vorschläge.

 

3. Die Prävention stärken

 

Die Vergangenheit verlangt Aufklärung und den Schutz gegen den Rückfall von Tätern. Deshalb holen wir vor der Entscheidung über die berufliche Zukunft eines Täters die Stellungnahme anerkannter Spezialgutachter ein und werden diese Begutachtung zur Pflicht machen.

 

Die Zukunft verlangt weitere Schritte zur umfassenden Prävention. Wir fordern die Gemeinden und besonders die Verantwortlichen in unseren Schulen und der Jugendarbeit auf, eine Kultur des aufmerksamen Hinschauens zu pflegen. Wir unterstützen eine Pädagogik, die der Stärkung der Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen verpflichtet ist. Die Forderung nach Prävention betrifft alle Bereiche der Gesellschaft, wo Kinder und Jugendliche zu Erwachsenen ein Verhältnis besonderen Vertrauens unterhalten und zugleich von ihnen abhängig sind.

 

In Deutschland gibt es viele Initiativen der Zivilgesellschaft und Einrichtungen des Staates gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Sie helfen dabei, Aufklärung und Prävention zu stärken. Wir wollen von ihnen lernen und zeitnah das Gespräch suchen, um klarer zu erkennen, was der Kirche zur Prävention sexuellen Missbrauchs in ihrem eigenen Bereich möglich und abverlangt ist. Wir Bischöfe führen auch Gespräche mit Opfern. Wir werden tun, was wir zu tun im Stande sind, damit die Wunden heilen können und keine neuen zugefügt werden.

 

Der Zölibat der Priester ist, wie uns Fachleute bestätigen, nicht Schuld am Verbrechen sexuellen Missbrauchs. Ein zölibatäres Leben kann aber nur versprechen, wer dazu die nötige menschliche und emotionale Reife hat. Zur Prävention gehört eine entsprechend sorgfältige Ausbildung der künftigen Priester. Deshalb geben wir einen Bericht in Auftrag, ob wir den Weihekandidaten im Hinblick auf die Eignung zum Zölibat noch bessere Hilfen zur Stärkung der psychosexuellen Reife anbieten können. Wir prüfen zudem, welche weiterführenden Formen der Unterstützung unserer Priester es in diesem Bereich gibt. Auch unsere pastoralen und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen entsprechend geeignet sein und begleitet werden.

 

4. Verantwortung verorten

 

Der Bischof von Trier, Dr. Stephan Ackermann, ist ab sofort besonderer Beauftragter der Bischofskonferenz für alle Fragen im Zusammenhang des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich. Ihn unterstützt ein Büro, das wir im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz einrichten. Es wird die Zusammenarbeit zwischen den Bistümern und mit den Orden in allen relevanten Fragen ausbauen und für die Verbindung mit den zivilgesellschaftlichen Initiativen und staatlichen Aktivitäten sorgen. Wir starten zudem eine bundesweite Hotline zur Information in Fragen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich.

 

Wir deutschen Bischöfe danken allen, die in diesen Wochen dabei helfen, Unrecht und Leid im Zusammenhang sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich aufzuklären und aufzuarbeiten. Wir bitten zugleich um die Unterstützung durch den Sachverstand derer, die außerhalb der Kirche aktiv sind. Die allermeisten Geistlichen verrichten ihren Dienst mit Hingabe und großer Glaubwürdigkeit. Wir danken ihnen und allen anderen Mitarbeitern, besonders in den katholischen Schulen und in der Jugendarbeit, für ihren großen Einsatz, den sie auch in diesen schwierigen Wochen unbeirrt erbringen. Die Fastenzeit gibt uns in besonderer Weise die Gelegenheit zu Gewissenserforschung und Umkehr, damit unser Lebenszeugnis glaubwürdig ist.

 

 

 

 

Link:

- Private Internetseite für Betroffene mit Petition

 

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