News 18. 02. 2010

Deutschland: Jesuitenorden äußert "Scham" über Umgang mit Missbrauchstätern

Der Jesuitenorden in Deutschland will die Aufklärung des Missbrauchs an seinen Schulen vorantreiben und äußerte "Scham" über die Erkenntnisse, die die Berliner Anwältin Ursula Raue in ihrem Zwischenbericht am Donnerstag vorlegte.

Der Provinzial des Ordens, Pater Stefan Dartmann, kündigte an, der Missbrauchsbeauftragten wie von ihr gefordert einen Arbeitsstab zur Seite zu stellen. Drei weitere weitere Arbeitsstäbe sollen an Schulen eingerichtet werden, um den dortigen Missbrauch aufzuklären.

Dank an Opfer, Schande für Orden

Dartmann erklärte zu Raues Bericht: "Das Ausmaß der Übergriffe, in denen sich sexuelle und sadistische Motive mischen, ist für den Orden erschreckend und beschämend." Er dankte den Opfern und Betroffenen, dass sie den Mut fanden, ihre Erfahrungen dem Orden mitzuteilen. Zu der mangelnden Beachtung der Opfer in den Unterlagen des Ordens schrieb er: "Dies ist eine Schande für einen Orden, der als eine seiner Hauptaufgaben das "animas iuvare" ("den Menschen helfen") auf seine Fahnen geschrieben hat."

Leitungspersonen versagten

 Mit Scham erfülle ihn auch die im Bericht benannte Tatsache, dass Täter von einer Station der Jugendarbeit in die andere geschickt wurden. Was hier menschliches Versagen von Leitungspersonen im Einzelfall war, und was strukturell falsch lief, werde in einem weiteren Schritt zu klären sein.

Ein Täter vor zwei Wochen suspendiert

Dartmann berichtete, dass er vor zwei Wochen einen geständigen Täter, der heute noch im Orden sei, von der öffentlichen Ausübung seiner priesterlichen Funktionen suspendiert habe.

Theologe für Überarbeitung der Missbrauchsrichtlinien

Nach den Missbrauchsfällen an kirchlichen Schulen sieht der deutsche katholische Theologe Wunibald Müller bei der Priesterausbildung und im kirchlichen Umgang mit Tätern und Opfern Handlungsbedarf. Zwar hätten sich die 2002 von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) beschlossenen Richtlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch grundsätzlich bewährt, in mehreren Details müssten sie aber überarbeitet werden, schreibt Müller in der in Freiburg erscheinenden "Herder Korrespondenz" (Märzausgabe). Der Psychotherapeut Müller leitet eine Einrichtung für Priester in Lebenskrisen.

Zentraler Ansprechpartner

Müller spricht sich für die Ernennung eines zentralen Ansprechpartners bei der DBK aus, der den Kontakt zum Vatikan halten und die Arbeit der diözesanen Beauftragten koordinieren und vernetzen solle. Auch müsse gewährleistet sein, dass die jeweiligen regionalen Beauftragten, an die sich Missbrauchsopfer wenden können, nicht zum Leitungsteam der Diözese gehörten. Zudem sollten alle Bistümer dazu verpflichtet werden, einen ständigen Arbeitsstab einzurichten, an dem auch externe Experten, etwa aus Psychotherapie oder Justiz, beteiligt sind. Damit könne verhindert werden, dass Missbrauchsfälle "dann doch wieder nur im internen Kreis verhandelt" würden, so Müller.

Sorgfältiger Ausleseprozess

Der Psychotherapeut spricht sich auch für einen "sorgfältigen Ausleseprozess bei den Kandidaten für das Priesteramt" aus. Hierbei müssten Psychologen mit einbezogen werden. Auch dürfe es bei der Priesterausbildung nicht zur einer Tabuisierung des Themas Sexualität kommen. Priester müssten sich vielmehr der Entwicklung ihrer Sexualität stellen, um Defizite im "Bereich der Fähigkeit zur Intimität und zu innigen Beziehungen" zu vermeiden, fordert Müller.

Bisher 120 mögliche Opfer

Im Skandal um sexuellen Missbrauch an Jesuiten-Schulen haben sich nach Angaben der von dem Orden beauftragten Rechtsanwältin bundesweit bislang 120 Betroffene gemeldet. Darunter seien auch frühere Angehörige von Schulen, die nicht von Jesuiten geleitet werden, sagte die Anwältin Ursula Raue am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung eines Zwischenberichts.

Zwölf Verdächtige

Ihr seien zwölf mögliche Täter namentlich bekanntgeworden, sagte Raue. Die Vorfälle hätten sich in Berlin, Hamburg, Hannover, Göttingen, Bonn und St. Blasien ereignet. Einzelne Vorfälle datierten zurück bis in die 1950er-Jahre. Viele der Taten dürften nach Ansicht von Beobachtern strafrechtlich verjährt sein. Beschuldigungen über Lehrer an anderen katholischen Schulen seien ihr "bis heute" neun bekannt. Vereinzelt habe es sich dabei auch um Frauen als Täterinnen gehandelt.

Vorwürfe seit Ende Jänner bekannt

Erste Missbrauchsvorwürfe waren Ende Jänner durch den Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, P. Klaus Mertes, bekanntgemacht worden. Mertes hatte sich mit einem Brief an rund 500 frühere Schüler seines Gymnasiums gewandt, nachdem sich bis dahin insgesamt sieben Opfer sexuellen Missbrauchs durch zwei Patres bei ihm gemeldet hatten. Die Vorfälle ereigneten sich den Angaben zufolge in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Mixa wehrt sich gegen Kritik in Missbrauchsdebatte 

Der Augsburger Bischof Walter Mixa wehrt sich gegen Kritik an seinen Äußerungen, die sexuelle Revolution vergangener Jahrzehnte sei mit Schuld am sexuellen Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen. Nach Angaben des Augsburger Ordinariats erklärte der Theologe am Donnerstag, er habe "das entsetzliche Phänomen des Kindesmissbrauchs" in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt, "ohne auch nur im geringsten zu behaupten, dass darin die alleinige und vorrangige Ursache für solche Verbrechen zu suchen sei".

Versäumnisse der Kirche

Mixa betonte, er habe "mit großer Deutlichkeit und zeitnah nach dem Bekanntwerden der aktuellen Missbrauchsfälle an den Jesuitenschulen den Missbrauch von Kindern durch Priester als besonders abscheuliches Verbrechen verurteilt". Zugleich habe er auch klar gesagt, dass es in der Vergangenheit schwerwiegende Versäumnisse und Fehler in der Beurteilung und Behandlung solcher Taten durch kirchliche Verantwortliche gegeben hat.

Sexuelle Revolution 

 Der Bischof hatte zuvor in einem Interview erklärt: "Die sogenannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von besonders progressiven Moralkritikern auch die Legalisierung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert wurde, ist daran sicher nicht unschuldig."

Verhöhnung der Opfer

Dafür hatte die Grünen-Chefin Claudia Roth dem Bischof Verhöhnung der Opfer vorgeworfen. Die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Karin Kortmann, hatte Mixas Äußerungen "hanebüchen" genannt und erklärt, ihm fehle offenbar der Realitätssinn. Die katholische Theologin Uta Rank-Heinemann sagte in einem Interview bei "Focus-online", Mixa reagiere mit der Haltung, "Hauptsache, jemand anders ist verantwortlich".

 

 

 

 

Link:

- Private Internetseite für Betroffene mit Petition

 

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