News 15. 02. 2010

Anwältin: Mehr als 100 Missbrauchsfälle deutschlandweit

An katholischen Jesuitenkollegs und Schulen in Deutschland sind wesentlich mehr Schüler sexuell missbraucht worden als bisher bekannt. "Es sind inzwischen über 100 Fälle, die sich am Canisius-Kolleg oder bei mir gemeldet haben", sagte die vom Jesuiten-Orden mit der Untersuchung der Vorwürfe beauftragte Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue am Montag der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Nicht alle Opfer hätten das Canisius-Kolleg in Berlin besucht. Die meisten betroffenen Schüler kämen jedoch von den drei Jesuiten-Kollegs - neben Berlin das Kolleg St. Blasien im Schwarzwald und das Bonner Aloisiuskolleg. Raue möchte noch in dieser Woche einen Zwischenbericht zu dem Missbrauchsskandal vorlegen. Zuvor hatte bereits der Rektor des Berliner Jesuiten-Gymnasiums, Pater Klaus Mertes, der "Berliner Zeitung" (Montag) gesagt, er könne sich vorstellen, dass die Opferzahl inzwischen dreistellig sei.

"Eine Entschuldigung reicht uns nicht"

Bei der Berliner Rechtsanwältin Manuela Groll haben sich inzwischen 20 Betroffene gemeldet, die aber nicht alle weiter betreut würden. "Acht oder neun Opfer möchten eine finanzielle Entschädigung", sagte Groll. Diese Betroffenen sagten ganz klar: "Eine Entschuldigung reicht uns nicht. Wir hätten gern eine andere Geste, die wirklich zeigt, dass bereut wird", schilderte die Anwältin. Mit dieser zivilrechtlichen Aufforderung werde sie sich demnächst an den Jesuiten-Orden wenden, sagte Groll. Denkbar wäre, dass der Orden "als Zeichen der Wiedergutmachung" einen Fonds zur Entschädigung einrichten könnte.

Jesuiten-Orden wartet auf Bericht

Der Jesuiten-Orden in Deutschland wartet vor der Einleitung weiterer Schritte auf den von Ursula Raue erarbeiteten Zwischenbericht, sagte der Sprecher des in München ansässigen Jesuiten-Ordens, Thomas Busch, der dpa. Für die Ausweitung des Missbrauchsskandals an dem Berliner Gymnasium lägen dem Orden keine eigenen Hinweise vor. "Sinnvollerweise melden sich die Opfer nicht beim Orden, sondern bei der Frau Raue oder der Staatsanwaltschaft", sagte Busch.

Entschädigungen? "Wir werden über alles sprechen"

Zum Punkt möglicher finanzieller Entschädigungen der Opfer sagte der Sprecher, der Orden warte ab, was die Opfer dazu zu sagen hätten. "Für uns ist entscheidend, welche Erwartungen die Opfer an uns formulieren. Wir wollen nicht vorgeben, was wir für richtig für die Opfer hielten", sagte Busch. Vielleicht legten die Betroffenen auf anderes Wert wie auf Worte der Entschuldigung oder die Täter mit dem Missbrauch zu konfrontieren. "Dann werden wir über alles sprechen." Doch der Orden könne nicht von vornherein einen Blankoscheck ausstellen, sagte Busch.

"Die Reform muss von innen kommen"

Pater Mertes, der Ende Jänner die Missbrauchsfälle vor 30 Jahren an seiner Schule öffentlich gemacht hatte, betonte erneut die Verantwortung der Schule und des Ordens. "Die katholische Kirche hat die Möglichkeit zur Selbstreform. Aber sie muss von innen kommen", sagte er der "Berliner Zeitung". Vor allem gehe es darum, den Opfern zu helfen. "Missbrauch ist Mord an der Seele."

 

 

 

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- Private Internetseite für Betroffene mit Petition

 

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