News 08. 03. 2010

Deutsche Justizministerin: Vatikan erschwert Aufklärung von Missbrauchsfällen

Die deutsche Justizministern Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat dem Vatikan Behinderung bei der Aufarbeitung der Skandale um sexuellen Missbrauch in katholischen Einrichtungen vorgeworfen. Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" forderte Papst Benedikt XVI. zu einer öffentlichen Stellungnahme zu den Missbrauchsfällen in Deutschland auf.

Es habe in vielen Schulen und Einrichtungen eine Art Schweigemauer gegeben, wegen der Informationen nicht ausreichend an die Justiz gelangt sei, sagte Leutheusser-Schnarrenberger am Montag im "Deutschlandfunk". Um eine Verjährung der Fälle zu verhindern, müsse aber nach Wegen gesucht werden, das Schweigen zu durchbrechen und bereits bei Anhaltspunkten auf Missbrauch möglichst frühzeitig Ermittlungen durch die Justiz zu ermöglichen, forderte die FDP-Politikerin. Für Schulen in katholischer Trägerschaft gelte aber eine Direktive der Glaubenskongregation von 2001, nach der auch schwere Missbrauchsfälle zuallererst der päpstlichen Geheimhaltung unterlägen und nicht an Stellen außerhalb der Kirche weitergegeben werden sollten, kritisierte Leutheusser-Schnarrenberger. Stattdessen solle nach der Direktive intern untersucht werden. Dabei werde nicht deutlich gemacht, möglichst frühzeitig die Staatsanwaltschaft einzuschalten.

"Wir sind Kirche" für Papst-Stellungnahme

Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" forderte am Wochenende Papst Benedikt XVI. zu einer öffentlichen Stellungnahme zu den Missbrauchsfällen in kirchlichen Einrichtungen in Deutschland auf. "Denn Joseph Ratzingers Amtszeit als Münchner Erzbischof von 1977 bis 1982 gehört genau zu den Jahren, um die es bei den Missbrauchsfällen geht", sagte "Wir sind Kirche"-Sprecher Christian Weisner in München der Deutschen Presse-Agentur dpa. Es dränge sich die Frage auf, ob er damals Kenntnis von solchen Übergriffen gehabt habe - und falls ja, wie er damit umgegangen sei. Eine Stellungnahme des Papstes wäre ein hilfreiches Zeichen, sagte Weisner. "Denn totale Offenheit ist der einzige Weg, das Vertrauen in die Amtskirche und vor allem in die Kirchenleitung wiederherzustellen."

Stiftung als "Zeichen der Reue"

Von den deutschen Bischöfen fordere "Wir sind Kirche" ein sichtbares Zeichen der Reue, betonte Weisner. "Eine auf einer Pressekonferenz abgelesene Entschuldigung reicht nicht aus." Als Zeichen der Reue könnte die Deutsche Bischofskonferenz eine gut dotierte Stiftung zur Vorbeugung gegen sexuellen Missbrauch gründen, sagte Weisner. Themen für eine solche Stiftung könnten eine breit angelegte Präventionsstrategie, Reformansätze für die Priesterausbildung und eine Neuausrichtung der kirchlichen Sexualethik sein. Die katholische Kirche in Deutschland müsse ihre Leitlinien von 2002 zum Umgang mit Missbrauchsfällen ändern, forderte Weisner. Es reiche nicht aus, dass ein Priester nach Missbrauchsfällen lediglich nicht mehr in der Kinder- und Jugendseelsorge eingesetzt werde. Wer in dieser Form kriminell werde, dürfe überhaupt nicht mehr Priester sein, forderte Weisner. "Solche Täter sind auch in anderen Bereichen - etwa in Altenheimen - als Seelsorger unzumutbar." Denn sie hätten beispielsweise für Beichtgespräche ihre moralische Autorität verloren.

Georg Ratzinger beklagt "Feindseligkeit der Kirche gegenüber"

Auch der Bruder des Papstes, Georg Ratzinger, müsse sich Fragen zum Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen gefallen lassen, sagte Weisner. Georg Ratzinger leitete die Domspatzen von 1964 bis 1994. "Ich habe nichts davon gewusst", betonte der Papst-Bruder am Sonntag in einem Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica". Als Zeuge stünde er eventuellen Ermittlungen aber zur Verfügung, sagte Georg Ratzinger. Er bedauerte eine "Feindseligkeit" hinter einigen Behauptungen: "Ich spüre teilweise eine Feindseligkeit der Kirche gegenüber, die bewusste Intention, schlecht über die Kirche zu reden." Der "Bild"-Zeitung (Samstag) sagte Ratzinger: "Bei uns ging es streng zu, aber das war nötig, weil ja Leistung gefordert wurde." Der Regisseur und Komponist Franz Wittenbrink, der bis 1967 im Regensburger Internat der Domspatzen lebte, sagte dem Magazin "Der Spiegel": "Warum der Papstbruder Georg Ratzinger, der seit 1964 Domkapellmeister war, davon nichts mitbekommen haben soll, ist mir unerklärlich." Er sprach von einem "ausgeklügelten System sadistischer Strafen verbunden mit sexueller Lust".

Vorwürfe auch gegen eine Ordensschwester

Am Sonntag gab es neue Vorwürfe. Sie richteten sich gegen eine frühere Nonne der Berliner Hedwigschwestern. In der ZDF-Sendung "Mona Lisa" berichtete eine ehemalige Kinderheim-Bewohnerin, die Nonne habe sie in den 50er und 60er Jahren jahrelang missbraucht. Das heute 60-jährige Opfer spricht von ständigen Berührungen im Intimbereich seit dem achten Lebensjahr: "Man hört immer nur von den Priestern, dabei waren's doch die Nonnen genauso." Man habe Kontakt aufgenommen zu der heute 79-Jährigen, sagte Thomas Gleißner, Pressesprecher der Hedwigschwestern. Die Frau sei 1986 aus dem Orden ausgetreten.

Vatikan sagt Unterstützung zu

Der Vatikan will Klarheit und Gerechtigkeit für Missbrauchsopfer in katholischen Einrichtungen. Das geht aus einer Notiz der vatikanischen Tageszeitung "Osservatore Romano" hervor, die sich auf die Missbrauchsfälle in Deutschland und dabei vor allem auf die betroffenen Regensburger Domspatzen bezieht. Der Heilige Stuhl unterstütze die Diözese in deren Bemühungen, im Sinne der Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz "die schmerzliche Frage entschieden und in offener Weise zu untersuchen", heißt es darin.

Kasper verlangt eine "ernsthafte Reinigung"

Nach Angaben des kirchlichen Sonderbeauftragten und Trierer Bischofs Stephan Ackermann soll für die Opfer nun eine Hotline eingerichtet werden. Kurienkardinal Walter Kasper forderte kirchenintern eine "ernsthafte Reinigung". Die Verantwortlichen müssten verurteilt und die Opfer entschädigt werden", betonte Kasper im Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica" am Samstag. Kaspar sprach von "verwerflichen und unverzeihbaren Verbrechen, die mit absoluter Strenge verfolgt werden müssen". Er lobte den Papst, der Klarheit um die Missbrauchsskandale schaffen wolle. Kasper betonte, dass der Papst angesichts der Missbrauchsfälle in der irischen Kirche einen Pastoralbrief plane, den Benedikt XVI. jetzt angesichts der neuen Skandale in Deutschland überdenken wolle, meinte Kasper.

Runder Tisch zu Kindesmissbrauch

Nach dem Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsfälle an deutschen Schulen soll es bereits im April einen Runden Tisch zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch geben. Familienministerin Kristina Schröder lud am Montag zusammen mit Bildungsministerin Annette Schavan (beide CDU) für den 23. April zu einem ersten Treffen ein. Daran sollen unter anderem Schul- und Internatsträger, die Katholische und Evangelische Kirche, Familienverbände, der Lehrerverband, Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege bis zur Ärzteschaft sowie Vertreter von Ländern und Kommunen teilnehmen. Das Gremium soll sich nach Angaben des Familienministeriums damit befassen, welche Art der Hilfe und Unterstützung Opfer benötigen. Zudem soll es Antworten darauf finden, was nach Übergriffen auf Kinder und Jugendliche zu tun ist und wie sich Missbrauch verhindern lässt.

 

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