News 18. 03. 2010

Scheuer: Nachdenken über Machtverhältnisse und "humane Sexualität"

"Es ist wichtig, Verantwortung zu übernehmen, aber es ist nicht gerecht, pauschal alle in einen Topf zu werfen." Das betont der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer in einem aktuellen Interview mit dem "Tiroler Sonntag" im Hinblick auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche.

Scheuer plädiert für eine differenzierte Wahrnehmung der Ereignisse aus früheren Jahrzehnten, zugleich spricht er sich für einen Nachdenkprozess über bestehende Machtverhältnisse in der Kirche und eine "humane Sexualität", die dem Menschen gerecht wird, aus.

Bedauern

"Ja, es hat diese Formen von Gewalt gegeben. Und das ist sehr zu bedauern", hält der Tiroler Bischof fest und lässt auch Entschuldigungen, wonach frühere Erziehungsmethoden mit heutigen nicht vergleichbar seien, nicht gelten: "Natürlich gibt es so etwas wie Zeitströmungen, aber das enthebt die Täter nicht ihrer Verantwortung." Abzulehnen seien weiters Generalisierungen, dass in kirchlichen Internaten flächendeckend Gewalt geübt wurde, so Scheuer, der selbst in seiner Jugend das Bischöfliche Gymnasium Petrinum in Linz besucht hat.

Kein Selbstmitleid

Wie zuvor schon Kardinal Christoph Schönborn warnt auch Scheuer vor Selbstmitleid in der Kirche in der aktuellen Situation: "Es geht hier nicht um die eigene Befindlichkeit, sondern um die Menschen, die sich jetzt melden, dass wir diesen Menschen zuhören und ihnen - vielleicht - auch einen Schritt weiterhelfen; da braucht es viel Sensibilität und da ist wichtig, dass Menschen in sich selbst wieder Kraft und Zuversicht entdecken."

Strukturen, Zölibat, Sexualität

Im Zusammenhang mit der sinkenden Glaubwürdigkeit der Kirche durch den Missbrauchsskandal müsse sich die Kirche heute auch der Frage stellen, was ihre "Vitalitätskiller" seien, so Bischof Scheuer: "Natürlich müssen wir überlegen, wo unsere Blockaden sind, und da müssen wir über Strukturen reden, über Sexualität, über den Zölibat, auch über Bürokratie." Die jetzt nach Jahrzehnten öffentlich werdenden Ereignisse seien ein Grund über die Machtverhältnisse in der Kirche und eine "humane Sexualität", die dem Menschen gerecht wird, nachzudenken.

Schönheit der Sexualität

Die Kirche habe etwa im Umgang mit der Sexualität "oft nur die Gelegenheit zur Sünde gesehen", bedauert der Bischof. "Das war nicht gut, weil es übertrieben war und weil nicht die Schönheit von Sexualität vermittelt wurde." Andererseits zeigten sich gegenwärtig auch die abgründigen Möglichkeiten von Sexualität, so Scheuer: "Da wird deutlich, dass es im Bereich von Sexualität Dimensionen gibt, wo einander sehr weh getan werden kann."

Gott auf Moral reduziert

Differenziert setzt sich Bischof Scheuer in dem Interview mit der Frage auseinander, ob die kirchliche Sexualmoral den Blick der Menschen auf die wesentlichen Glaubensinhalte verstellt. "Das Anliegen des Papstes, das Geschenk des Glaubens herauszustreichen, erreicht die Menschen nach meinem Eindruck nur wenig und wird kaum wahrgenommen", stellt der Innsbrucker Bischof fest. Trotzdem wäre es seiner Meinung nach falsch, die Moral insgesamt beiseite zu schieben.

Sexualmoral

Hinter den kirchlichen Geboten der Sexualmoral stünden "menschliche Erfahrungen, die Beziehung, Humanität und Familie schützen sollen", erinnert Scheuer. "Die Gebote sind so etwas wie Fixsterne, die der Orientierung dienen. Dabei ist es nicht hilfreich, Ideale ohne die Lebbarkeit zu vermitteln." Es gäbe so etwas wie eine Kränkung durch die kirchliche Sexualmoral, so Scheuer, "Kränkung insofern, weil zu wenig sensibel vermittelt wird, wie es nach Krisen und Scheitern weiter gehen kann."

 

Link:

- Diözesane Ombudsstellen für Opfer sexuellen Missbrauchs in der röm.-kath. Kirche

 

ORF TVthek:

- Missbrauchsfälle - Täglich neue Enthüllungen

 

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