News 29. 03. 2010

Katholische Kirche setzt Waltraud Klasnic als "Opferbeauftragte" ein

Die ehemalige steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic (ÖVP) wird "unabhängige Opferbeauftragte" der katholischen Kirche. Das teilte Kardinal Christoph Schönborn am Sonntag in der ORF-"Pressestunde" mit. Der Wiener Erzbischof reagiert damit auf das Bekanntwerden von immer mehr Missbrauchsfällen in Kirchenkreisen.

Klasnic werde in den kommenden Wochen eine unabhängige Kommission zu den Missbrauchsfällen zusammenstellen, kündigte Kardinal Schönborn in der "Pressestunde" an. Klasnic habe ihm am Samstag ihre Bereitschaft bekundet, diese Aufgabe zu übernehmen, so Schönborn. Ein erstes Treffen der beiden, um die weitere Vorgangsweise zu klären, soll es am Gründonnerstag geben. In der Zusammensetzung ihres Teams und in der Festlegung der Arbeitsweise versicherte der Wiener Erzbischof völlige Eigenständigkeit. "Amtsträger der Kirche" würden jedenfalls nicht in die Kommission entsandt werden. "Wir wollen die Unabhängigkeit der Aufklärung garantieren", so Schönborn. Der Schritt sei auch mit den Mitgliedern der Bischofskonferenz abgesprochen.

Kirche finanziert die Kommission

Nicht ganz selbstständig wird die von Schönborn geplante Kommission in finanziellen Fragen sein, da diese von der Kirche finanziert wird - allerdings nicht mit Mitteln aus dem Kirchenbeitrag, betonte Schönborn. Und auch eine "enge Zusammenarbeit" mit diözesanen Ombudsstellen ist angedacht, die katholische Kirche werde der Kommission auch Zugang zu allen benötigten Informationen gewähren. Die Frage, ob weitere Politiker Klasnics Kommission angehören würden, konnte Schönborn nicht beantworten.

Klasnic: Keine einfache Aufgabe, aber eine Ehrenpflicht

Die neu eingesetzte "unabhängige Opferbeauftragte" Klasnic befand sich am Tag der öffentlichen Verkündung ihrer neuen Aufgabe im Ausland. Schriftlich ließ sie allerdings wissen, dass es für sie eine Ehrenpflicht sei, dem Ruf Schönborns zu folgen. Ziel sei es, die Tätigkeit "rasch und wirksam aufzunehmen - wenn möglich noch vor Ende April". Auch Klasnic betonte, dass ihr von Schönborn "völlige Unabhängigkeit" zugesagt worden sei. Der steirische Diözesan-Bischof Egon Kapellari dankte der Opferbeauftragten sogleich für ihre Bereitschaft.

"Weg der Wahrheit"

Im Hinblick auf die Missbrauchsfälle betonte Kardinal Schönborn: "Es gibt nur einen Weg, den Weg der Wahrheit". Alle Versuche, etwas zu vertuschen, seien klar abzulehnen. Zur Anzeigepflicht von Missbrauchsfällen im kirchlichen Milieu - die derzeit unter Juristen und Therapeuten intensiv diskutiert wird - äußerte der Wiener Erzbischof seine "persönliche Überzeugung", dass bei "schwerwiegendem Verdacht" die Anzeige erfolgen muss, "außer wenn das Opfer das ausdrücklich nicht will". In diesem Zusammenhang erwarte er sich viel vom "Runden Tisch", zu dem Justizministerin und Familienstaatssekretärin für 13. April erstmals eingeladen haben.

Schönborn: Der Papst ist kein Vertuscher

Entschieden wandte sich Kardinal Schönborn gegen alle Vertuschungsvorwürfe, die sich gegen Papst Benedikt XVI. richten. Der Papst habe sich als Kardinal in der "Causa Groer"(1995) energisch für eine vatikanische Untersuchungskommission eingesetzt. Diese Kommission sei aber von der "diplomatischen" Partei im Vatikan verhindert worden, die alles auf "die Medien" schieben wollte, sagte Schönborn: "Ratzinger hat mir damals traurig gesagt: Die andere Partei hat sich durchgesetzt." Kardinal Ratzinger habe aber 2001 die Errichtung des "Gerichtshofs" in der Glaubenskongregation zur Behandlung von Sexualdelikten gegen Kinder und Jugendliche durchgesetzt, damit Bischöfe nichts vertuschen können: "Ihm vorzuwerfen, er sei ein Vertuscher, ist unhaltbar". Die zwei von deutschen und amerikanischen Medien aufgerollten angeblichen Vertuschungsfälle, in die der Papst involviert gewesen sein soll, würden untersucht, sagte Kardinal Schönborn. Er wolle dazu "jetzt nicht 1. Reihe fußfrei" von Wien aus "Zurufe nach Rom" tätigen. Vatikan-Sprecher P. Federico Lombardi SJ habe bereits sehr viel erläutert.

Zölibat ist nicht die Ursache von Missbrauch

Zur Frage nach den Ursachen von sexuellem Missbrauch und Gewalt in der Kirche erinnerte Kardinal Schönborn daran, dass leider überall Gewaltbereitschaft vorhanden sei. Freilich gebe es keine "bessere Schule" zum Umgang mit Gewalt als das Evangelium: "Jesus geht konsequent den Weg der Gewaltlosigkeit, er steht eindeutig auf der Seite der Opfer. Leider hat das seine Gemeinschaft, die Kirche, oft sträflich vernachlässigt". Der Zölibat könne gut oder schlecht gelebt werden, er sei aber nicht die eigentliche Ursache des Missbrauchs, betonte der Kardinal. Wo Priester Probleme mit der Ehelosigkeit haben und in Beziehungen leben, werde ernsthaft mit ihnen geredet und vor allem die Frage gestellt: Wie lebst du mit der Doppelmoral? Diese Doppelmoral sei ein "Unrecht", auch für die Partnerin des Priesters.

Hierarchische Struktur der Kirche geht auf Jesus zurück

Im Hinblick auf die hierarchische Struktur der Kirche sagte der Wiener Erzbischof, dass es den Missbrauch geistlicher Macht im Verlauf der Kirchengeschichte in verschiedener Form gegeben habe und gebe. Die hierarchische Struktur gehe auf Jesus zurück, der die Apostel berufen habe. Aber zugleich sei klar, dass die Kirche die Freiheit fördern und die "emanzipatorische Kraft" des Evangeliums in den Vordergrund stellen müsse. "Wo dies unterbleibt, ist Reformbedarf", betonte der Kardinal. Die "entscheidende Reform" orientiere sich an der Frage: "Entsprechen wir der Botschaft Jesu Christi"?

 

 

Link:

- Diözesane Ombudsstellen für Opfer sexuellen Missbrauchs in der röm.-kath. Kirche

 

ORF TVthek:

- Missbrauchsfälle - Täglich neue Enthüllungen

 

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